Österreich ziert eine Vielzahl von Baujuwelen und weist in seiner Geschichte eine große Anzahl einflussreicher und großartiger Architekten auf. Dass die Architektur anfänglich nicht immer zur Freude der Bevölkerung beitrug, hat vor allem in Wien fast schon Tradition. Es scheint so etwas wie ein Wiener Schicksal zu sein, dass einige Bauwerke, die errichtet wurden und später zu höchsten Architekturehren kamen sowie teilweise auch Sehenswürdigkeiten darstellen, vorab einen Skandal provozierten.
Der skandallose Steffl
Der Stephansdom gehörte definitiv nicht dazu, obwohl er 1137, als er zu bauen begonnen wurde, mit seinen Maßen sicherlich nicht in die Innenstadt passte. Aber zu dieser Zeit hatte das einfache Volk noch andere Sorgen, als sich um Gebäude, die nicht ins Stadtbild passten, den Kopf zu zerbrechen. Und die Gotik – sie dauerte etwa von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis um 1500 –, in deren Stil der Dom errichtet wurde, war den meisten gar kein Begriff. Der Stephansdom ist übrigens eines der wichtigsten gotischen Bauwerke nicht nur Wiens, sondern ganz Österreichs.
Der Ärger beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts
Eines der ersten Häuser, das in der Wiener Bevölkerung Ärger verursachte, war das Looshaus am Michaelplatz. Begonnen hat alles 1909. Damals sollte das Haus als neue Geschäftsadresse für ein nobles Bekleidungsgeschäft errichtet werden. Adolf Loos bekam den Auftrag, und seine Pläne versetzten die Menschen in Aufruhr. Wien war in der damaligen Zeit stark vom Jugendstil mit seinen üppigen, vielerorts ausschweifenden, floralen Mustern geprägt. Egal, ob bei Möbeln, Stoffen, Schmuck, in der Kunst oder eben bei Gebäuden. Adolf Loos hatte ein wenig andere Vorstellungen.
Kontrast zwischen oben und unten
Auffallend ist beim Looshaus der Kontrast zwischen dem mit Marmor ausgekleideten unteren Fassadenbereich und der schlichten Putzfassade der oberhalb liegenden Wohngeschoße. Der obere Teil war es auch, der die Bewohner schockierte. „Schiach“, sagte der Einheimische oder wie es heute neudeutsch ein wenig freundlicher heißt: ein „No-Go“. Ein schlichter zweckmäßiger Oberbau, keine Fassade erkennbar, keine der damals üblichen Fensterverdachungen; einfach nur eine Fassade ohne „Dekoration“. Das „Haus ohne Augenbrauen“ wurde es von den Einheimischen verächtlich genannt, und selbst Kaiser Franz Joseph würdigte es keines Blickes.
Ein obszönes Haus
Der exponierte Bauplatz gegenüber der Hofburg trug zusätzlich dazu bei, dass die glatte Oberflächengestaltung der Obergeschoßzone als schockierend, ja, fast schon als obszön empfunden wurde. Die aufgeklebten Gipsornamente auf den Gründerzeithäusern, die damals in Massen entstanden, gefielen den Wienerinnen und Wienern doch besser. Sie waren eben ein schmuckes Äußeres gewohnt. Ein wenig Pomp musste schon sein. Der fehlt eben dem Looshaus. Also nicht ganz: unten hui, oben pfui.
Kompromiss mit Blumenkästen
Trotz seines ästhetischen Funktionalismus ist das Gebäude kein schlichter Zweckbau – gerade bei den Materialien wurden weder Kosten noch Aufwand gespart. Das kümmerte allerdings wenig. Es ging vielmehr um die Optik. Die fehlende Ästhetik im oberen Teil des Hauses – Loos’ schlichter und ornamentloser Architekturstil – führte schließlich zu einem Baustopp. Widerwillig ließ sich der Architekt zu einem Kompromiss hinreißen, damit sein Bauwerk doch vollendet werden konnte: Zur Behübschung der Fassade wurden einige kupferne Blumentröge angebracht. Heute wirken diese wie das, was sie damals vermutlich darstellten: Loos’ Meinung, man solle ihm „den Buckel runterrutschen“. Inzwischen ist das Looshaus längst als eines der zentralen Bauwerke der Wiener Moderne in Wien anerkannt. Es markiert die Abkehr vom Historismus, aber auch vom floralen Dekor des Secessionismus.
Andere Epoche, ähnliches Thema
Nur mit Blumentöpfen zur Behübschung der Fassade gab sich der Künstler Friedensreich Hundertwasser bei seinem Entwurf Anfang der 1980er-Jahre für einen Gemeindebau in Wien-Erdberg nicht zufrieden. Er hatte gleich das ganze Haus als Symbiose von Bau und Natur entworfen. Das war den Wienern dann auch wieder zu viel – man war optisch einen anderen Baustil gewöhnt, wie sich an den Häusern der 60er- und 70er-Jahre unschwer erkennen lässt. Errichtet wurde das außergewöhnliche Gebäude in den Jahren 1983 bis 1985 dennoch.
Ein Haus wie ein Wald
Bis zur Fertigstellung war es allerdings ein steiniger Weg. Hundertwasser wollte ein „Haus für Menschen und Bäume“, so wie er es Jahre zuvor bereits in seinem Text „Verwaldung der Stadt“ beschrieben hatte. Trotz erheblicher Abweichungen von den Bebauungsbestimmungen gelang es seinem Architekten Josef Krawina, einen konsensfähigen Baukörper zu entwickeln. Dies allerdings nur unter intensiver Ausnutzung der eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten. Der Entwurf wurde auch tatsächlich über alle Planungsschritte im Wesentlichen unverändert gelassen und gelangte schließlich zur Ausführung.
Ein neuer Partner
Trotzdem kam es zu einem Streit zwischen dem Künstler und dem Architekten, der bei der Gestaltung der Fassade eskalierte. Krawina schied aus, und Hundertwasser wurde ein anderer Fachmann zur Seite gestellt. Mit dem Architekten Peter Pelikan, Angestellter der Magistratsabteilung 19, vollendete er schließlich sein Werk. Mehr als das. Pelikan wurde für Hundertwasser zum langjährigen Partner für zahlreiche weitere Bauvorhaben. Müßig zu erwähnen, dass das Hundertwasserhaus heute zu den architektonischen Highlights Österreichs zählt und Besucher aus der ganzen Welt anzieht.
Wieder ein Skandal
In Wien war man Mitte der 1980er-Jahre der Meinung, das Schlimmste an architektonischen Neuerungen hinter sich haben. Dann kam der Architekt Hans Hollein und setzte noch einen drauf. Vis-à-vis dem legendären Stephansdom, liebevoll „Steffl“ genannt. Es war das Haas-Haus, das die Gemüter erregte. Wobei man nicht vergessen sollte, dass schon das Vorgängergebäude, das 1951 bis 1953 als Nachkriegsbau errichtet wurde, in den Augen der Betrachter dem Gotteshaus als Gegenüber nicht ebenbürtig war. Er wurde Anfang der 50er-Jahre an die Stelle gesetzt, an der einst das erste große Warenhaus Wiens stand. 1866/67 errichtet, fiel es aber dem Krieg zum Opfer. Als der Bau des „Hass-Hauses“ 1985 begann, dämmerte es der Öffentlichkeit schon, dass hier etwas entstehen würde, das – sagen wir es einmal vorsichtig – nicht dem entsprach, was dem Steffl angemessen war. Und sie hatte recht. Zwischen dem gotischen Stephansdom und dem modernen Haas-Haus lagen zwar nur wenige Meter, aber in archetonischer Hinsicht Welten.
Zwischen Juwel und Käse
Das Haas-Haus sorgte zur Zeit der Errichtung für Debatten. Es war zu seiner Zeit noch umstrittener als der Vorgängerbau. Von „Designjuwel“ bis „Kaas-Haus“ – nur selten spaltete ein Bauwerk vor und nach der Errichtung derart die Gemüter. Die Befürworter des Designjuwels waren voll des Lobes: „Das Bauwerk setzt durch den verspiegelten Erker einen städtebaulichen Akzent. Die geschwungene Fassade des Haas-Hauses mit dem runden Erker und das auskragende Dach schaffen eine gelungene Verbindung zu den Nachbargebäuden.“ Aber eben nur zu den Nachbargebäuden. Dass sich der Dom in der Glasfassade spiegelte, war zwar nett, aber das Argument, man könne jetzt den Stephansdom auf zwei Seiten betrachten, erwies sich nicht als durchschlagend.
Humorvolle Architektur
„Die Frage, ob das Bauwerk im ästhetischen Sinne anspricht, ist vielmehr eine Frage des persönlichen Bekenntnisses zur postmodernen Architektur von Hollein“, hieß es in einem Architektur-Magazin und weiter: „Man kann das Gebäude als das betrachten, was es ist: als eine Collage aus Formen, Materialien und Anspielungen. Hollein hat sorgfältig Referenzen ausgesucht und kombiniert. Der humorvolle Umgang mit diesen Motiven macht das Gebäude einzigartig. Lässt man sich auf den Humor ein, geht man mit einem Schmunzeln über den Stephansplatz.“ Das tut man heute; 1985, wie gesagt, standen die Mundwinkel auf viertel neun.
1985 zauberte dafür ein anderes Gebäude den Österreicherinnen und Österreichern ein Lächeln ins Gesicht – wenn man es gedruckt sah … .
2. Teil am Dienstag, 22.12.