Wie sehen Sie grundsätzlich Ihre Arbeit als Architekt?
Johannes Baar-Baarenfels: Architektur hat für mich mehrere Komponenten – zum Beispiel die reine Funktionalität, aber auch einen geistigen Aspekt. Das breite Spektrum reicht von so scheinbar banalen Dingen wie den Sanitärräumen bis hin zum Metaphysischen von Sakralbauten. Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich die Vielfalt und Unermesslichkeit dieses Berufs.
Was verstehen Sie unter der Unermesslichkeit des Berufs?
Johannes Baar-Baarenfels: Der Beruf bildet für mich die Lebensbedingungen des Menschen ab. Was gebaut wird, ist das Abbild unserer Gesellschaft – ihre Geisteshaltung. Man ist heute stark dem Pekuniären zugewandt und weniger einer höheren Bedeutung. Es gibt allerdings schöne Paraphrasen wie Nachhaltigkeit, und wichtig ist hier für mich die Qualität der Gebäude, sodass sie auch von späteren Generationen geschätzt werden und nicht nach kurzer Nutzung zwingend abgerissen werden müssen.
Wichtig ist, dass uns das gebaute Umfeld inspiriert. Aber wenn alles nur nach materiellen Prinzipien gebaut ist, dann kann es nicht inspirierend sein, sondern erzeugt nur Trostlosigkeit. Wir stochern in der Materie, den Geist finden wir nicht.
Aber wer würde ein Projekt umsetzen, das so einen Spirit erzeugt?
Johannes Baar-Baarenfels: In der asiatischen und der indischen Kultur ist dieses Thema viel stärker verankert als in Europa, und es gibt in diesen Hemisphären sehr wohl Investoren, die aus diesem Verständnis heraus agieren. Das ist eine sehr interessante Entwicklung, die in der westlichen Welt erst langsam beginnt. Sie wurde im 20. Jahrhundert durch die rein rationale Denkweise des Westens verdrängt, aber ich glaube, dass wir im 21. Jahrhundert diese alten Weisheiten wiederentdecken. Dass finanzkräftige Menschen solche Projekte finanzieren, ist ein erstaunlicher Beweis. Das sind Menschen, die global denken, sich ihrer Verantwortung bewusst sind und ihre Möglichkeiten dahingehend nützen, da sie ja auch die finanziellen Möglichkeiten haben.
Was ist für Sie Nachhaltigkeit?
Johannes Baar-Baarenfels: Unabhängig von der ökologischen Ausrichtung, den verwendeten Baustoffen und den Aspekten der grauen Energie sowie der Betrachtung des Lebenszyklus liegt Nachhaltigkeit darin, etwas von Bedeutung zu schaffen, das auch für weitere Generationen Wert hat. Ein gutes Beispiel dafür sind die innerstädtischen Gründerzeithäuser in Wien, die in ihrer Adaptionsfähigkeit heute noch einen großen Wert haben. Sie spiegeln eine Geisteshaltung der Großzügigkeit wider, die immer noch geschätzt wird.
Wichtig ist auch der Aspekt, dass damals Architekten und Bauherren an einer gemeinsamen Sache gearbeitet haben: nämlich Wien als bedeutende Hauptstadt eines großen Reichs zu repräsentieren. Es geht also nicht so sehr darum, ein einzelnes Gebäude in den Vordergrund zu rücken, sondern um die gesamtheitliche Wirkung im öffentlichen Raum.
Das Miami Center for Architecture & Design würdigte im November ein Hochhaus in der westafrikanischen Millionenstadt Dakar im Senegal, das Sie entworfen haben. Was ist das Besondere an dem Projekt?
Johannes Baar-Baarenfels: Die Lage des Projekts in Dakar ist außergewöhnlich. Der Bauplatz befindet sich in der Mitte einer Halbinsel. Aufgrund dieser besonderen Lage und der Tatsache, dass wir höher bauen als in der Umgebung üblich, hat man von dem Gebäude in fast alle Himmelsrichtungen einen atemberaubenden Blick über die Stadt und auf das Meer. Die unteren Etagen sollen als Büroflächen der Regierung dienen, die darüber liegenden als Wohnungen genutzt werden. Den Abschluss des Gebäudes bildet ein Penthouse mit plastisch geformtem Flugdach.
Die Struktur des Gebäudes ist ungewöhnlich.
Johannes Baar-Baarenfels: Ja, richtig! Die Struktur ist für diese Region insofern ungewöhnlich, als normalerweise einfache Geometrien mit vergleichsweise kleinen Fensteröffnungen gebaut werden. Diese Gebäude verschlingen viel Energie, weil sie keine zweischaligen Wandaufbauten haben und daher stark gekühlt werden müssen.
Entgegen den Gepflogenheiten in Senegal haben wir die statische Struktur in Form einer plastisch geformten, ungleichmäßigen Wabenstruktur nach außen verlagert. Sie ist nicht nur extrem stabil, sondern schafft auch eine hohe Beschattung, wodurch wir raumhohe Verglasungen machen können, ohne die extreme Hitze ins Innere aufzunehmen. Natürlich wird sich die äußere Struktur aufheizen, aber die Beschattungsteile werden als thermische Solarkollektoren genutzt.
Die gewonnene Wärmeenergie wird einerseits zur Klimakaltwassererzeugung über Absorberkältemaschinen und andererseits zur Warmwasseraufbereitung verwendet. Die Kühlung des Gebäudes erfolgt über eine Bauteilaktivierung innerhalb der Betondecken.
Die Energie für den Kompressor kommt über Photovoltaik-Kollektoren am Dach.
Wer finanziert das Gebäude?
Johannes Baar-Baarenfels: Es ist ein junger, in den USA äußerst erfolgreicher Sportler, der in seinem Heimatland Senegal mit dem Bauwerk ein Zeichen setzen möchte. Die Architektur, die wir hier kreiert haben, beziehungsweise das Gebäude ist in seiner Modernität und Nachhaltigkeit ein Landmark für die Stadt und das Land.
Architektur muss den örtlichen und klimatischen Bedingungen Rechnung tragen, und man muss die lokalen Gegebenheiten nützen. Ich arbeite lieber mit der Natur als gegen sie.
Über Johannes Baar-Baarenfels
Johannes Baar-Baarenfels arbeitet als Architekt in Wien. 2020 gewann er den begehrten European Property Award mit dem Projekt „Wohnhaus für einen Erdöl-Ingenieur“. Im selben Jahr sorgte auch sein Projekt „Sofia Serdika“ im Moskauer Schusev-Museum für Furore: Drei filigrane Glasgitterschalen überdachen im historischen Zentrum Sofias auf dem Nezavisimost-Platz eine 2500 Jahre alte Ausgrabungsstätte.
2013 wurde er beim World Architecture Festival in Singapur für den Umbau des Palais Rasumofsky in der Kategorie „Neu und Alt“ ausgezeichnet. Bereits 2010 war Baar-Baarenfels bei dem World Architecture Festival in Barcelona nominiert gewesen: Damals in der Kategorie „Shopping“ für den Sportalm-Flagship-Store in der Wiener Brandstätte. Er unterrichtete an Universitäten in Österreich und Indien und hielt in zahlreichen Ländern Europas und Asiens Vorträge.