Worauf sollten Politiker bei der Stadtentwicklung achten?
Heinz Neumann: Stadtentwicklung braucht Zeit, manchmal sehr viel Zeit. Man sollte nicht parteipolitische Überlegungen priorisieren, sondern auf die Bevölkerung achten. Und damit zitiere ich mich zum x-ten Mal: Architektur ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, und die ist im Wandel, und dem sollte man von politischer Seite her Rechnung tragen.
Wie verändert sich in Ihren Augen die Gesellschaft?
Heinz Neumann: Um es plakativ zu sagen: Schauen Sie sich die Kleidung der Menschen hat. Heute ist eine Frau gut angezogen, wenn sie komplett zerrissene Jeans trägt und keine Stöckelschuhe. Sicherlich hat auch Covid unsere Gesellschaft verändert – und es gibt weiterhin Ereignisse, die unsere Gesellschaft verändern.
Sie haben sehr viele Bürohäuser geplant, und man spricht derzeit von der Veränderung der Bürohäuser – wie sehen Sie diese Diskussion?
Heinz Neumann: Es ist immer schwer, so etwas zu prognostizieren. Die ERSTE Österreich hat probiert, in manchen Bereichen den Clean Desk anzuwenden, und was ist passiert? Die Leute sind um halb acht ins Büro gekommen, weil jeder den Schreibtisch haben wollte, den er immer hatte. Es kam nicht zu der Fluktuation, die man sich erwartet hatte. Man war der Meinung, dass man sich 30 Prozent der Arbeitsplätze einsparen könnte, aber das war nicht der Fall. Hier eine Prognose abzugeben ist schwer. Aber letztendlich wird das Büro immer die Basis bleiben.
Das Großraumbüro wurde irgendwann in den 50er-, 60er-Jahren wiedererfunden. Wenn Sie sich die Zeitungsredaktionen um die Jahrhundertwende ansehen, da gab es hunderte Leute in einem Büro. Das Großraumbüro kommt, und das Großraumbüro geht. Die Art des Büros ist im Grunde eine Frage des Managements. Davon hängt es ab, ob wir Großraumbüros oder Einzelbüros haben oder Homeworkers heranzüchten.
Wie betrachten Sie heute rückblickend Projekte, die Sie vor 20 oder 30 Jahren kreiert haben?
Heinz Neumann: Manche sehe ich unkritisch, und manche sehe ich sehr kritisch. Das hat damit zu tun, dass sich, wie gesagt, die Gesellschaft im Wandel befindet, und daher stimmen bei dem einen oder anderen Projekt einige Parameter nicht mehr so wie zur Zeit der Entstehung. Da muss Hand angelegt und verändert werden.
Vor allem wird in den Gebäuden immer mehr eine Durchmischung gefordert.
Heinz Neumann: Ein sehr wesentlicher Aspekt, da immer mehr Gebäude entstehen, die mehrere Funktionen haben sollen. Heute hängt man der Idee nach, dass man durchmischen sollte, um unter anderem die Entfernung zwischen Arbeitsplatz und Wohnung zu verkürzen.
Als ein wesentlicher Gedanke ist außerdem eingeflossen, dass wir die Gebäude auch umnutzen können. Dass man zum Beispiel zu einem späteren Zeitpunkt aus einem Wohnhaus ein Büro oder ein Hotel
machen kann.
Haben Sie heute mehr Freiheiten als früher?
Heinz Neumann: Im Gegenteil, ich habe weniger Freiheiten – wegen der Flächenwidmung der Behörden. Es wird nicht die Höhe, Breite oder Dichte des Gebäudes vorgeschrieben, sondern wesentlich in die Architektur eingegriffen. Mit vorgegebenen städtebaulichen Verträgen, Flächenwidmungen und Bebauungsplänen bleibt dem Architekten nur noch die Arbeit der Polierplanung.
Ein weiterer Aspekt: Heute müssen alle Türen 80 Zentimeter breit sein. Da, wo ich in meiner Jugend gewohnt habe, hatten wir Türen, die waren 60 Zentimeter breit, und wir sind tadellos durchgekommen. Roland Rainer meinte einmal, da die Vorgaben immer enger wurden: „Jetzt höre ich auf, jetzt hat Architektur keinen Sinn mehr.“
Kurz und gut: Durch diese Beschränkungen werden uns Architekten sehr viele Möglichkeiten genommen. Heute haben wir keine Architektur mehr, sondern nur noch gebaute Bauordnung. Eigentlich sind das Kuriositäten die da entstehen und nur die Bauordnung bestätigen. Architektur entsteht keine mehr.
Was müsste geändert werden?
Heinz Neumann: Die Stadtplanung sollte sich auf die wesentlichen Kriterien der Stadtentwicklung beschränken. Die Bauordnung müsste durchgeputzt werden und von allen Spompanadeln und Schnapsideen befreit werden. Wir haben in Österreich anscheinend neun verschiedene Typen von Menschen, weil wir neun verschiedene Bauordnungen haben, die alle etwas anderes beinhalten.
Stellen sie sich das bei den Rechtsanwälten vor: Die Rechtsanwaltskammer beschließt, neun verscheiden ABGBs zu installieren. Die Rechtsanwälte müssen neun ABGBs lernen, und in jedem Bundesland wird anders geurteilt.
Die Architekten sind eine sehr schlecht vertretene Berufsgruppe, und wir lassen uns das alles gefallen.
Hat sich bei Ihnen in Ihrer beruflichen Laufbahn das Interesse an bestimmten Immobilienarten verändert? Oder ist für Sie die Architektur von Immobilienarten unabhängig?
Heinz Neumann: Natürlich gibt es Spezialisten, aber ich folge der Devise von Hans Hollein: Alles ist Architektur, man muss sich dem beugen und sich jeder Aufgabe stellen. Ich entwerfe nicht nur Gebäude, sondern designe unter anderem auch Gegenstände. Ich habe einige ganz kuriose Dinge entwickelt wie Pillenspender, Vasen, Aschenbecher, aber auch Tische und Sessel. Wobei ich sagen muss, das Schwierigste ist, einen guten Sessel zu kreieren. Nehmen Sie einmal den „Fledermaus“-Stuhl von Josef Hoffmann. Salopp formuliert: „A Blada passt da nicht hinein.“
Meine beiden ersten Sessel war nicht wirklich richtungsweisend, aber den „Swing Sessel“ gibt es heute noch.
Was würden Sie gerne planen?
Heinz Neumann: Eine Kirche oder ein Museum, beides habe ich noch nicht gemacht.
Was ist schwieriger zu planen, eine Villa oder ein Hochhaus?
Heinz Neumann: Ich glaube, dass die Entwicklung eines Einfamilienhauses, einer Villa für einen Bauherrn, der sich mit Architektur auseinandersetzt, manchmal schwieriger ist als Umsetzung von Hochhäusern, von denen ich acht oder neun in Wien entwickelt habe. Allerdings ist die Verantwortung bei einem Hochhaus um einiges größer – und natürlich gilt das auch für die Auswirkungen. Wenn ich in einem Haus ein WC einbaue, das um zehn Zentimeter zu schmal ist, ist das unangenehm. Wenn ich aber in einem Hochhaus in 30 Stockwerken WCs einbaue, die zu schmal sind, ist das weitaus ausschlaggebender. Die Verantwortung ist sehr groß, und wenn ich nicht wirklich einen guten Grundriss zustande bringe und der Bauherr feststellt, man hätte mehr Nutzfläche zusammenbringen können, dann „spielt’s Granada“.
Welches Projekt ist Ihnen in Ihrer langen Karriere in Erinnerung geblieben?
Heinz Neumann: Gott sei Dank alle.
Wie diplomatisch muss man als Architekt sein?
Heinz Neumann: Man muss sehr diplomatisch sein. Man muss den Bauherrn führen, und das meine ich nicht überheblich. Der Bauherr ist meistens kein Baufachmann, den muss man diplomatisch führen, und die Entscheidungen, die man ihm abringt, muss man vorbereiten.
Welche Trends sehen Sie in der Architektur.
Heinz Neumann: Früher hatten wir Begriffe wie Proportionen und Harmonie. Früher waren die Fenster übereinander, die Säulen auch, die Dächer oben und die Fundamente unten. Das haben wir heute nicht mehr in so ausgeprägter Form, da wir nicht mehr von „Tragen“ und „Lasten“ abhängig sind. Heute haben wir dekonstruktive Architektur. Es ist eine Melange, und alles muss möglich schief, schräg und bizarr sein.
Ich hänge noch immer dem Gedanken der Proportionen und der Ästhetik nach.
Heinz Neumann zeichnet neben vielen anderen Gebäuden für folgende Projekte verantwortlich:
Village im Dritten
Central Hub
Am Seebogen H6
Haus am Schottentor
Office Park 4, Flughafen Wien
BahnhofCity Wien West
Park Hyatt, Goldenes Quartier
EURO PLAZA
UNIQA Tower