Das Thema „gemischte Nutzung“ ist nicht neu, aber es nimmt verstärkt Fahrt auf. Auf der einen Seite ist es eine Notwendigkeit, auf der anderen Seite eine mehr als sinnvolle Zukunftsstrategie. Covid-19 und die dadurch hervorgerufene Pandemie haben eine massive Veränderung vor allem für die Welt des Wohnens und Arbeitens mit sich gebracht. „Die Rückkehr zur vollständigen Präsenzkultur am Arbeitsort scheint nicht mehr möglich“, meint Oliver Oszwald, Partner bei HNP architects. Auch die Aspekte Logistik, Gewerbehöfe und produktive Stadt finden in immer mehr Konzepten Platz. „Gebäude sind so zu errichten, dass eine Mehrfachnutzung möglich ist“, so das Credo von Oliver Oszwald: „Dazu ist es unabdingbar, sich vom Korsett der rechtlichen Rahmenbedingungen und den entsprechenden Flächenwidmungen und Bebauungsbestimmungen zu befreien.“
Über die Grenzen hinausdenken
Damit diese Konzepte auch wirklich funktionieren, muss über die Grundstückgrenzen hinausgedacht werden und gemeinsam mit der Stadt und den Developern die positive Gesamtentwicklung einer Gegend im Auge behalten werden. Wie zum Beispiel in Wiens Seestadt Aspern. Das unmittelbar an der U2-Station „Seestadt“ gelegene Baufeld H6 ist ein zentrales Element des Quartiers „Am Seebogen“. 41.700 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche sind geplant. Zumindest 25 Prozent der Kubatur sind für gewerbliche Nutzungen vorgesehen, die verbleibenden 75 Prozent stehen für Wohnraum zur Verfügung. „Ziel war es, einen zukunftsorientierten urbanen Nutzungsmix zu schaffen“, so Oliver Oszwald: „Die Verbindung von hoher Lebens- und Arbeitsqualität stand dabei im Mittelpunkt.“ Im Inneren bildet sich die funktionale Kombination von Wohnen und Gewerbe in Form zweier Höfe ab: Der Gewerbehof „craftWerk“bietet Flächen für klassisches Gewerbe, neue Ideen und Produkte rund um New Work. Der begrünte Wohnhof ist von unterschiedlichen Wohnbauten eingerahmt. Dank der durchdachten Planung der Architekten sind aber beide Höfe, obwohl ein Ganzes, voneinander getrennt.
Neue Art des Wohnen-Arbeiten-Leben
„Es ist höchste Zeit, etwas Neues, etwas für die Umwelt, etwas Verbindendes für uns Menschen zu entwickeln und zu bauen“, sagt Wolfdieter Jarisch, Vorstand der S+B Gruppe AG. „Daher arbeiten wir an einer neuen Art des WOHNEN-ARBEITEN-LEBENS und wollen mannigfaltige Nutzungen für unterschiedliche Personenkreise mit verschiedenen Lebensstilen zusammenbringen.“ Diese Pläne sollen am Rande des aufstrebenden Viertels Neu Marx verwirklicht werden. Hier hat die S+B Gruppe AG zwei großflächige Grundstücke mit 9.192 Quadratmeter Fläche erworben. Mit Architekten wird an der Gestaltung eines modernen verschränkten Wohn- und Arbeitsraums für das Leben der Zukunft gearbeitet. „Wir planen die ,Stadt der Zukunft‘, und dies ist sehr spannend“, so Wolfdieter Jarisch. Die Erkenntnisse aus der D-City werden gebündelt und sollen „beim neuen Projekt am Rennweg in einem neuen, ganzheitlich ausgewogenen Konzept umgesetzt werden.“
Ortszentrum mit Infrastruktur
Ein weiteres Beispiel für gemischte Nutzung wird im Westen von Wien von KIBB Immobilien entwickelt. „Hier soll ein Ortszentrum mit Infrastruktur und verschiedenen Wohnformen geschaffen werden“, sagt Samantha Riepl, CEO von RegioPlan Consulting, die das Unternehmen berät: „Aufgrund der speziellen Lage in einem Durchzugsort und der kaufkräftigen Einwohnerstruktur wird es besonders wichtig sein, ein Angebot zu schaffen, das die künftigen Bewohner auch wirklich in Anspruch nehmen.“ Wohnformen und Erdgeschoßnutzungen werden dem Standort beziehungsweise der Nachfrage angepasst.
Neu errichtete urbane Zentren planen
„Wir beobachten bei unseren Kunden, Projektentwicklern, Investoren und Stadtplanern immer häufiger, dass die Nutzungen und damit unser Beratungsfeld vielfältiger werden“, erläutert Samantha Riepl. Speziell neu errichtete urbane Zentren im 21. und 22. Bezirk benötigen eine entsprechende Umsetzung – und hier wird nichts dem Zufall überlassen. „Wir arbeiten derzeit zudem häufig an Entwicklungen in diesen beiden Bezirken, wo der genaue Nutzungsmix von Wohnen, Arbeiten, Gewerbe und Handel anhand einer Bedarfs- und Zielgruppenanalyse eruiert wird“, meint Romina Jenei, CEO RegioPlan Consulting. Selbst bei den Wohnprojekten wird noch einmal differenziert: „In der Assetklasse Wohnen sprechen wir nicht mehr nur von Bewohnern, sondern spezifischer auch von Senioren, Studenten, Familien, Generationen, Singles.“ Bei allen gemischten Objekten und Stadtteilen ist es entscheidend, die Nutzungen der Umgebung zu integrieren und dabei den Blick in die Zukunft zu richten. Romina Jenei: „Es ist wichtig, eine Planung zu erstellen, die auch in zehn Jahren noch zum Standort und zu den künftigen Nutzern passt.“ Dazu müssen die Konzepte flexibel sein, denn wie die letzten 15 Monate gezeigt haben, können sich die Verhältnisse relativ schnell ändern.