Haben Sie so eine Situation schon einmal erlebt?
Martin Bartl: Nein, obwohl ich schon lange in der Bau- und Immobilienbranche tätig bin. Wir hatten zwar auch in den 70er- oder 80er-Jahren schwierige Zeiten, aber eine so lange Phase des Stillstands habe ich noch nie erlebt. Wir haben zwei bis drei oder eigentlich schon fünf Jahre Stillstand, da ja die Verzögerungen bei den Bauprojekten bereits mit Covid begonnen haben. Österreichs Wirtschaft soll heuer wieder um 0,7 Prozent schrumpfen. Das sind aber keine Prognosen von mir, sondern harte Fakten des WIFO und von Raiffeisen Research.
Wir fangen frühestens 2026 mit Umsatz an, und alle Projekte, die im Sommer 2025 nicht auf Schiene sind, werden 2026/2027 auch nicht fertig. Es ist in der Wirtschaftspolitik sowie in der Kammerpolitik noch nicht angekommen, dass die Bauwirtschaft seit 2022 darniederliegt.
Ich kann daher die Aussage „Wir müssen für eine bessere Stimmung sorgen“ nicht mehr hören. Davon kann sich keiner was kaufen, und niemand kann davon leben. Es gibt keinen Grund für gute Stimmung. Auch die Aussage, dass es der Wirtschaft aktuell wieder besser geht, kann ich nicht im Geringsten nachvollziehen. Die Baubranche kämpft ums Überleben, und nur weil wir so tun, als wäre alles wieder positiv, ändert sich auch nichts automatisch. Das ist toxische Positivität par excellence und löst keines der Probleme.
Sie sprachen von harten Fakten des WIFO …
MB: Die Daten vom WIFO, die von Gabriel Felbermayr Ende Jänner präsentiert wurden, sprechen eine eindeutige Sprache. Egal, ob es sich um das Wirtschaftswachstum handelt oder das BIP – wir sind im Euro-Raum immer an der letzten Stelle, alle Wachstumstreiber sind in Österreich extrem schwach, und das wird auch bis mindestens 2026 so bleiben. Raiffeisen Research meint, eine Besserung ist nicht in Sicht.
Allein 2024 haben 6.587 Unternehmen Insolvenz angemeldet – ein Anstieg um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders betroffen ist die Bauwirtschaft – und für 2025 wird mit rund 6.500 bis 7.000 weiteren Firmenpleiten gerechnet.
Das spürt auch die Immobilienwirtschaft.
MB: Die Bauinvestitionen sind viel zu gering und werden es auch bleiben. Bei den Hypothekardarlehen gibt es eine Stabilisierung auf einem niedrigen Niveau. Die Baukosten hingegen haben sich auf einem hohen Niveau eingependelt. Die Baubewilligungen nehmen auch ab, und 2024 war das fünfte (!) negative Jahr. Es sind katastrophale wirtschaftliche Daten, vor allem bei den Kleingewerbeunternehmen. 2024 ist auch die Baunebengewerbsbranche blutrot. Wir haben ein dramatisch schlechtes Jahr hinter uns und über 16 Prozent mehr Konkurse. Nehmen wir zum Beispiel eine kleine Baufirma in Niederösterreich, die kleine Wohnbauten (Einfamilienhäuser etc.) errichtet. Die hatten früher zwischen 65 und 75 Mitarbeiter, und heute sind es nur mehr elf, also sind sie mittlerweile bei 15 Prozent des Mitarbeiterstands, weil einfach keine Aufträge da sind. Bei einer burgenländischen Baufirma ist der Beschäftigungsstand von 60 auf fünf reduziert, also auf nur acht Prozent des Vorkrisenniveaus. Das Unternehmen macht nur noch Mängelbehebung, das heißt, keine Projekte mehr – und das ist leider die Wahrheit im Wohnbau. Ähnlich ist es bei den ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen.
Inwiefern?
MB: Die Architekturbüros bauen massiv ab, und wenn man sich die Statistiken anschaut, dann sieht man, dass die Ein-Personen-Unternehmen extrem zugelegt haben. Dann weiß man eh Bescheid. Die entlassenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen sich selbstständig und „gfretten“ sich halt so durch – deshalb sieht man sie auch nicht im AMS.
Wie sehen Sie das Auslaufen der KIM-Verordnung. Das ist ja doch ein positiver Schritt.
MB: Nicht wirklich. Es wird sich durch das Auslaufen am 30. Juni 2025 nichts ändern. Die Banken werden immer brutaler mit den Sicherheiten und die EZB und die Nationalbank immer risikoaverser – auch wenn die Zinsen sinken. Die Banken müssen bis zu 100 Prozent vom Eigenkapital hinterlegen. Manche Banken haben aber mehr Kredite ausstehen als Spareinlagen und können daher keine Kredite mehr hergeben. Hier muss es eine Lösung geben, denn mit den fehlenden Käuferinnen und Käufern fällt auch die Projektentwicklung weg.
Das Problem betrifft nicht nur den Bausektor. Wenn wir 2027 nicht mehr Wohnraum schaffen, wo sollen die jungen Menschen denn dann wohnen? Sie werden woanders hinziehen – vermutlich ins Ausland, wo es zudem auch noch attraktivere Jobs und bessere Rahmenbedingungen gibt. Wer also gut ausgebildet ist, kann es sich aussuchen, wo der Wohn- und Arbeitsort ist, und die Entscheidung wird immer öfter gegen Österreich ausfallen, was einfach eine Katastrophe ist.
Die Projektentwickler kämpfen ja derzeit an mehreren Fronten.
MB: Für die Bau- und Immobilienbranche ist es wichtig, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Es gibt Bauvorschriften und Normen, die sich teilweise gegenseitig aufheben. Wenn wir die Normen um 30 Prozent zurückfahren, werden die Baukosten um 20 bis 25 Prozent sinken. Dazu kommt, dass Baugenehmigungen ewig dauern. Ich kenne Fälle von zweieinhalb Jahren für sechs Doppelhäuser – der Grund ist, dass das Bauamt nicht besetzt ist und der Bürgermeister einfach keine Lust hat. Freilich gibt es auch Entscheidungsträger, mit denen man ein großes Projekt gemeinsam in fünf Monaten durchbringt. Aber es kann doch nicht sein, dass Projektentwicklungen von der Willkür eines unprofessionellen Bürgermeisters und von Bauamtsmitarbeitern abhängen. In kleinen Städten wie Baden ist das eine Katastrophe. Bei einem Projekt hat die Baubewilligung drei Jahre gedauert, und aus den 40 geplanten Wohneinheiten sind letztendlich nur 24 geworden. Das lässt sich ja gar nicht mehr kalkulieren.
Ein Thema ist ja auch die Wohnbauförderung.
MB: Es muss sofort aufhören, dass die Wohnbauförderung nicht für den Wohnbau, sondern zweckentfremdet verwendet wird. Jeder Dienstnehmer zahlt einen Beitrag für die Wohnbauförderung, damit es möglich ist, Wohnraum zu schaffen, und die Gelder fließen irgendwohin.
Sie waren beim Wirtschaftskammerpräsidenten Wolfgang Ecker von Niederösterreich. Ihre Erfahrungen?
MB: Es war ein sehr gutes Gespräch, und meiner Meinung nach ist ihm bewusst, dass die wirtschaftliche Lage in der EU und im Speziellen in Niederösterreich für die Bau- und Immobilienbranche katastrophal ist. Er hat mir mitgeteilt, dass das Land Niederösterreich in den kommenden Monaten eine Bauinitiative starten wird. Diese wird vor allem für die kleinen Gewerbetreibenden im Bau- und Baunebengewerbe relevant sein. Er gibt aber zu, dass es mit dem Wahlkampf und der überlangen Regierungsbildung zu einem mehr als einjährigen Stillstand gekommen ist, der schwer wieder aufzuholen ist.
Haben wir Ende 2026 das Tal durchquert?
MB: Lassen Sie es mich so sagen: Langfristig wird es nicht besser, wenn nicht ein Turbo gezündet wird. Der Stau bei den Bewilligungsverfahren muss raschest abgebaut werden – und ich rede nicht nur von Wien, sondern von ganz Österreich.
Wobei ich ehrlich sagen muss, ich weiß auch nicht, wie das „Anfahren“ funktionieren soll. Einerseits gibt es nicht genug Beamte, die dies bewältigen können, und andererseits sind bei den Baufirmen die Fachkräfte wieder in ihre Herkunftsländer im EU-Raum zurückgekehrt – und die werden auch nicht mehr zurückkommen. Die Leute, die wir verloren haben, werden wir nicht mehr so schnell ersetzen können. Handwerker sind schwer zu bekommen, und das in Zeiten wie diesen. Das heißt, es wird künftig schwieriger sein, mehr zu bauen, oder anders gesagt, wir könnten gar nicht mehr bauen, auch wenn wir wollten.
Was würde jetzt helfen?
MB: Die Umsetzung des Baupakets muss gelingen, und weitere Schritte sind notwendig, etwa die Wohnbauförderung wieder in den gesamten Wohnbau zu stecken und nicht in den jeweiligen Landesbudgets versinken zu lassen. Es soll nicht nur der genossenschaftliche Wohnbau, der dann auch noch parteipolitisch besetzt wird, gefördert werden, sondern auch im gleichen Ausmaß der private Häuselbauer.
Finanzierungen müssen ein kluges Instrument werden, um Aktivitäten in der Bau- und Immobilienbranche anzukurbeln. Vor allem für unsere jungen Familien wird ein Eigenheim immer schwerer zu finanzieren, da für sie keine direkten Förderungen vorhanden sind. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz – entweder die Familien verdienen zu viel und bekommen keine Förderung, aber eine Finanzierung, oder sie bekommen eine Förderung, aber wegen der strengen FMA-Regeln keine Finanzierung. Hier muss die Politik eingreifen, um das wieder in geregelte Bahnen zu lenken, und es darf nicht von einem Gremium (Fiskalrat, FMA etc.) abhängen, das sich in dieser Branche in keinster Weise auskennt.
Weitere dringende Maßnahmen zur Dämpfung der Baukosten sind: Deregulierung und Bürokratieabbau, ein Durchforsten der Normen, eine überzeugende Fachkräftestrategie, die Mobilisierung von Flächen durch Reform der Bodenbesteuerung, die Nachverdichtung in den Gemeinden und Städten, die GrESt abschaffen und die Bodenwertsteuer reformieren. Vor allem ist von politischer Seite Verlässlichkeit nötig, um die Unsicherheiten zumindest zu minimieren.
Wenn alle gemeinsam (Bundes- und Landespolitik, Kammern, Nationalbank – FMA, Banken etc.) wirklich endlich Anstrengungen zur wirtschaftlichen Verbesserung der Bau- und Immobilienbranche durchziehen, denke ich, dass sich die Lage ab 2028 wesentlich entspannen könnte.