In Asien oder in anderen nichteuropäischen Staaten spielt sich das Leben weiterhin auf den Märkten ab. „Dort sind die Märkte stadtbestimmend“, wie Silvia Wustinger-Renezeder, Geschäftsführerin der SEG, weiß. So sehr, dass für zahlreiche asiatische Touristen, die nach Wien kommen, nicht das Riesenrad oder der Stephansdom im Vordergrund des Interesses stehen, sondern die Märkte der Donaustadt. „Für viele Touristen gehört das zum Besuchsprogramm“, so die SEG-Chefin. In Wien gibt es derzeit 26 Märkte im herkömmlichen Sinn, auf denen im Einzelhandel überwiegend Lebensmittel angeboten werden. Fünf dieser Märkte werden als sogenannte „Temporäre Märkte“ nicht von Montag bis Samstag, sondern nur an bestimmten Wochentagen abgehalten. Es gibt fast alles auf diesen Plätzen: von Obst, Gemüse und Blumen bis zum persischen Kaviar, vom Sushi bis zum indischen Tandoori-Huhn, vom Döner Kebab bis zu Austern und Leberkäsesemmeln. Wiens Märkte haben rund ums Jahr Saison und spiegeln den Charme der Stadt je nach Jahreszeit wider. „Märkte gehören in den Städten zum Lifestyle“, so Wustinger-Renezeder: „Sie werten die Gegend auf, man kann dort essen, bekommt frische Ware, und sie sind natürlich auch Treffpunkt.“
Geschichtlicher Rückblick
Die Geschichte der Wiener Märkte muss um das Jahr 1150 begonnen haben. Die zu dieser Zeit erfolgte Verlegung der Babenberger-Residenz nach Wien brachte den entscheidenden Impuls für das Wachsen der bestehenden Ansiedlung. Die Stadterhebung Wiens ließ nicht sehr lange auf sich warten. Gleichzeitig mit dem ersten Stadtprivileg von Herzog Leopold VI. im Jahr 1221 erhielt Wien auch das Stapelrecht. Es bedeutete, dass durchziehende Kaufleute in Wien ihre Waren niederlegen mussten, um damit Handel zu ermöglichen. Das Bedürfnis nach Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs brachte im Verlauf des Mittelalters in Wien ein reges Marktleben auf allen wichtigen Plätzen der heutigen Inneren Stadt hervor. Zahlreiche Straßenbezeichnungen zeugen noch immer von dieser Zeit: Hoher Markt, Neuer Markt, Bauernmarkt, Fleischmarkt, Getreidemarkt, oder Kohlmarkt (Holzkohle).
Die „Rückkehr“ in die Stadt
In Westeuropa gerieten die offenen Märkte in den 1970er-Jahren durch die aufstrebenden Supermärkte stark unter Druck, viele verschwanden aus dem Stadtbild oder wurden kleiner. Oftmals fielen sie auch neuen Gebäuden zum Opfer, denn die Plätze hatten eine äußerst zentrale Lage. Die Wiener Märkte waren zwar weiterhin aktiv, aber in der Nähe wohnen wollte interessanterweise niemand. Vor knapp 15 Jahren erlebten sie bei der breiten Masse wieder eine Renaissance, und der Markt wurde allmählich nicht mehr nur für den Einkauf genützt, sondern erhielt einen ganz neuen Stellenwert. Man traf sich, und der Marktplatz wurde „für viele Bewohner wieder ein Hotspot“, so Helfried Mück, Geschäftsführer der MP Real Estate Services GmbH und Lizenzpartner der Engel Völkers International GmbH. Mittlerweile will man sich aber nicht mehr nur treffen, sondern auch in der Nähe wohnen. Markt heißt Leben, und dort wird auch Wohnraum gesucht.
Märkte ziehen auch Investoren an
Richard Buxbaum, Leiter der Abteilung für Wohnimmobilien und Zinshäuser bei der Otto-Immobilien-Gruppe: „Märkte wie insbesondere der Naschmarkt und der Karmelitermarkt ziehen Investoren fast magisch an.“ Folge: Die Preise in der Umgebung sind gestiegen und steigen weiter. Kaum ein Zeitungsinserat, in dem eine Immobilie angeboten wird, ohne dass nicht der Vorteil der Nähe zu einem der Wiener Märkte angepriesen wird. „Marktnähe“, „Fußläufig zum Markt“, „direkter Blick auf den Markt“, so lauten die Aussagen, um die Wohnungen für das Zielpublikum noch interessanter zu machen. „Es kommen ja nicht nur die jungen Leute auf die Märkte, sondern alle, die in der Nähe des Marktes wohnen“, erklärt Mück: „Die Leute, die im 19. Bezirk leben, kommen alle auf den Obkirchermarkt.“ Er ist fast schon ein Fixpunkt im städtischen Leben des 19. Bezirks, wo man den ehemaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky ebenso antreffen kann wie Niki Lauda.
DER Treffpunkt im Grätzel
Die Wiener Märkte sind eben nicht nur zum Einkaufen da. Für Michael Pisecky, Geschäftsführer der s Real, haben Märkte noch eine ganz andere wichtige Funktion: „Es lebt mittlerweile die Hälfte der Menschen in Wien in Ein-Personen-Haushalten, und es gibt auch zahlreiche Zwei-Personen-Haushalte. Märkte sind Orte der Begegnung, ebenso wie bestimmte Grätzel, und diese Gegenden sind deshalb so beliebt, weil man dort spontan Leute treffen kann.“
Sie wirken gleichzeitig als Lebensadern für ihre Umgebung– und ziehen eine junge, kreative und lebenslustige Szene an. So schwärmt Vera Sieder, Marketingleiterin bei Premium Immobilien: „Der Rochusmarkt ist ein schicker Markt. Er ist ein kleiner Markt und auf wenige Standl beschränkt.“ Was für die Marketingexpertin einen klaren Vorteil darstellt, denn „der Naschmarkt ist mir zu groß und zu laut. Hier am Rochusmarkt ist es irgendwie chillig“. Am Wochenende allerdings wird er größer, denn dann kommen die Bauern aus dem Burgenland und bieten hier ihre Waren an. Das ist es auch, warum Sieder meint: „Es ist fast ein bisschen ländlich, und der Markt hat an sich eine dörfliche Struktur.“ Märkte haben eine große Anziehungskraft auf die Bewohner, und Silvia Wustinger-Renezeder bedauert, „dass der Schwendermarkt nicht mehr so anziehend ist, wie er früher war“. Die SEG hat neben dem Markt eine Liegenschaft erworben, und die „Märkte sind ja ein Asset einer Gegend“, so die SEG-Chefin: „Der Schwendermarkt in seiner alten Form wäre sicher eine Attraktion mehr.“ Engel Völkers-Repräsentant Mück: „Für viele Menschen ist es ein wichtiges Kriterium, ob ein Markt in der Nähe ist, wenn sie sich eine Wohnung kaufen.“ Allerdings nimmt das Interesse an den Märkten mit dem Preis der Wohnung etwas ab. „Bei den Spitzenpreisen ist es dann egal, ob ein Markt in der Nähe ist oder nicht. Hier wird eher die Nähe zu kulturellen Einrichtungen, wie zum Beispiel der Oper, gesucht.“ Die Käufer sind aber in sehr vielen Fällen dann keine Österreicher mehr, sondern jene Menschen, die „nur ein paar Monate in Wien wohnen“, so Mück.
Wo Licht, da auch Schatten
Michael Schmid, Geschäftsführer der 3S Immogroup sieht aber einen „Unterschied, ob ich den Markt vor meiner Haustüre habe oder ob ich in der Nähe des Marktes wohne und ihn nutzen kann“. Direkt vor der Haustüre kann natürlich auch ein Nachteil sein. Das betrifft weniger das rege Leben tagsüber, sondern vielmehr die Zeit „außerhalb“ des Marktgeschehens– nämlich dann, wenn die Waren angeliefert oder die Stände aufgebaut werden. Bei Öffnungszeiten ab sechs Uhr morgens müssen die Waren entsprechend früher angeliefert werden. „Das ist so ähnlich wie eine Straßenbahn vor der Tür“, meint Schmid. Direkt vor dem Schlafzimmerfenster kann das Verkehrsmittel auch lästig werden. Aber letztendlich ist für Schmid „die Infrastruktur gefragt, und darum funktionieren die Märkte auch so gut“. Einen weiteren Vorteil, der mit dem Zeitgeist zu tun hat, sieht Schmid auch noch: „Heute gehen bereits viele Leute ins Biogeschäft einkaufen, und in diesem Zusammenhang sind natürlich auch die Märkte interessant.“
Naschmarkt und Brunnenmarkt
Der Star unter Wiens Märkten ist der Naschmarkt. Zwischen Karlsplatz und Kettenbrückengasse gelegen, belebt der Naschmarkt eines der interessantesten Stadtviertel. Kulinarische Spezialitäten, egal ob typisch wienerisch oder exotisch, gibt es hier in üppiger Auswahl, immer frisch– und natürlich jede Menge Gastrostände. Selbst der umtriebige Immobilienprofi René Benko hat in der Nähe des Marktes im Jahr 2000 seine erste Immobilie in Wien erworben. Am Brunnenmarkt erwarb der damalige Vorstand der conwert Immobilien Invest AG, Günter Kerbler, im Jahr 2005 das Kaufhaus Osei und hoffte, „dass wir an das Umfeld andocken können“. Kerbler war überzeugt, dass man „ein Grätzel nur dann entwickeln kann, wenn man mehrere Häuser zusammenbekommt und revitalisieren kann“. Eine Solitäraktion nützt in so einem Fall wenig. Daher trug auch die Stadt Wien zum Gelingen und zum Aufleben des Brunnenmarktes bei. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig meinte in einem Interview im Februar 2009: „Der Wollner-Hof im 16., direkt beim Brunnenmarkt, war früher Spekulationsobjekt, und wir haben ihn mit engagierten Bauträgern saniert. In anderen Städten wäre er weggerissen worden. Hier gab es eine ganz enge Kooperation zwischen dem 16. Bezirk und der GEWOG. Wir haben viel investiert, und die Gegend um den Brunnenmarkt beginnt sich ja jetzt zu drehen. Wir wollen im Unterschied zu andern Städten eine sanfte Stadterneuerung und nicht die Bevölkerung austauschen.“ Das ist gelungen, und rund um den Brunnenmarkt hat sich ein bunter und boomender Stadtteil entwickelt. Der Markt selbst verströmt südländisches Flair mit stark türkischem Einfluss. In der Umgebung haben viele junge Künstler ihr Quartier aufgeschlagen und machen den Brunnenmarkt und den angrenzenden Yppenmarkt zu einem der spannendsten Viertel der Stadt.
Am Karmelitermarkt Kultur aufschnappen
Der Karmelitermarkt im 2. Wiener Gemeindebezirk– zwischen den Stationen „Schottenring“ und „Taborstraße“– ist der jüngste der aufstrebenden Märkte. Das ehemalige jüdische Grätzel wurde im 2. Weltkrieg gänzlich zerstört und ist heute vor allem als Kunst- und Szenetreff bekannt. Allen voran sind seine modernen Lokale, kulturellen Veranstaltungen und Feinkostgeschäfte die Highlights beim Herumschlendern. Darüber hinaus gibt es am Karmelitermarkt zahlreiche Obst- und Gemüsestände und Spezialitäten aus Georgien und der Türkei. Für alle Freunde von Krimis und Co. bietet sich das in dem Viertel situierte Wiener Kriminalmuseum an und wer sich noch an die Serie „Trautmann“ erinnern kann, wird hier einiges wiedererkennen. Aber auch originelle Bürohäuser entstehen hier und ziehen Unternehmen in den „hippen Zweiten“. So bietet zum Beispiel die Aucon Real Estate Group beim Karmelitermarkt im „2nd GARDEN“– ganz dem Viertel entsprechend– Büroflächen mit Kunst und Garten an.
Märkte sind also nicht nur zum Wohnen interessant, sondern auch zum Arbeiten.