Die Etablierung des sozialen Wohnbaus im 20. Jahrhundert gilt zu Recht als wesentliche zivilisatorische Leistung mitteleuropäischer Politik. Der Begriff „Sozialer Wohnbau“ bezeichnet jede Form des Wohnbaus, die von direkten oder indirekten öffentlichen Subventionen profitiert.
Die zentrale Wirkung des sozialen Wohnungssektors besteht darin, dass die enge Beziehung zwischen der individuellen Position auf dem Arbeitsmarkt und jener auf dem Wohnungsmarkt durchbrochen wird. Sobald ein leistungsfähiger sozialer Wohnbau (etwa in Gestalt einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft) existiert, bedeutet ein niedriges Erwerbseinkommen oder Erwerbslosigkeit nicht mehr automatisch unzureichende Wohnverhältnisse oder im Extremfall ein Abdriften in die Obdachlosigkeit. Die soziale Ungleichheit am Wohnungssektor wird zwar nicht völlig aufgehoben, jedoch auf ein für die Allgemeinheit akzeptables Maß reduziert.
Tradition im Wohnbau
Keine Stadt weltweit hat eine so lange Tradition des leistbaren Wohnens wie Wien, und das stellt sich– vor allem in den letzten Jahren– als immer größeres Asset für die Stadt und alle Bewohner heraus. Nicht nur für diejenigen, die vom leistbaren Wohnraum direkt profitieren. Es profitieren nämlich alle. Die Absicherung dieses Grundbedürfnisses bewahrt auch den sozialen Frieden im Land bzw. in der Stadt. „No Go“-Areas, die selbst Polizisten tagsüber nicht betreten sollten und nachts schon gar nicht, existieren in Wien nicht. Andere europäische Großstädte kämpfen sehr wohl mit diesem Problem, dort kann es vorkommen, dass einige Wohnblocks weiter mehr oder weniger die Dritte Welt beginnt. Wer sich solche Gegenden zum Beispiel in London einmal angesehen hat, der weiß, dass jedes Investment– vor allem im Luxusbereich– auf einem sehr dünnen Fundament gebaut ist. Vom sozialen Frieden ganz zu schweigen.
Aktuelle Herausforderungen
„Gegenwärtig sehen sich die Gemeinnützigen mit einer ganzen Palette von Herausforderungen konfrontiert“, erklärt Karl Wurm, Obmann des Österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV). Als Folge der Budgetkonsolidierung ist es in den Wohnbauförderungsbudgets der Länder teilweise zu erheblichen Kürzungen der Neubauförderungszusicherungen gekommen. „Sanierung frisst Neubau“, bringt GBV-Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Lugger die Umschichtung in der Wohnbauförderung in einem Bericht auf den Punkt und verweist darauf, dass dies zulasten künftiger Wohnungssuchenden geht. Dem Rückgang der Neubaufördermittel steht, so Verbandsobmann Wurm, eine hohe Nachfrage nach erschwinglichen Mietwohnungen gegenüber. Dazu kommen die Grenzen der Finanzierbarkeit erreichende Ausgaben im Instandhaltungs- und Neubausektor durch einen stetig größer werdenden Rucksack von Anforderungen und Aufgaben. Nicht zu vergessen die steigenden Grundstückspreise, die für die Bauvereinigungen zunehmend zu einer Quelle der finanziellen Belastung werden.
Lobbyismus gegen den Wohnbau
Daneben macht ein weiterer „Preistreiber“ den gemeinnützigen Wohnbauträgern das Leben schwer. Es ist kein „Preistreiber“ der auf eine starke Nachfrage zurückzuführen ist, sondern leider auf eine zu starke Lobby. ÖSW-Vorstand Michael Pech: „Vertreter der Interessenverbände von einzelnen Industrien sitzen in den Normungsausschüssen und setzen sich massiv durch. Ihre Produkte müssen aufgrund der entsprechenden Normierungen dann zwangsläufig verwendet werden. Letztendlich geht dies auf Kosten der Qualität, die wir für Dinge brauchen würden, die für den Bewohner wesentlich wichtiger sind. Außerdem könnte durch die Einsparung das Wohnen günstiger werden.“ Im Jahr 2012 wurden 349 baurelevante Normen erlassen. Abgesehen von der Sinnhaftigkeit sind Architekten, Bauträger und Bauausführende von dieser Normungspflicht überfordert. Überspitzt formuliert: Wenn man die Normen auf zehn Jahre hochrechnet, sind das 3.000 Normen, und damit wäre jedes Haus, das vor zehn Jahren gebaut wurde, eigentlich ein Sanierungsfall. Es entspräche nicht mehr den Normen.
Fragwürdige Normen
Die (fehlende) Sinnhaftigkeit von Normen, die das Ergebnis von purem Lobbyismus sind, ist das eine. Das andere ist, dass es, wie ein klassisches Beispiel zeigt, oftmals Jahre dauert, bis es zu einer Änderung der Vorschriften kommt bzw. diese endlich fallen. So unter anderem die leidige „Notkaminverordnung“. Jede neu gebaute Wohnung in Wien muss bis dato mit einem Notkamin ausgestattet sein. Die Idee dahinter: Sollte einmal die Versorgung mit Wärme durch die Stadt nicht mehr gewährleistet sein, so kann man die Wohnung jederzeit mittels Holzofen weiter beheizen. Das kostet nicht nur Geld, sondern ist auch einfach sinnlos: Sollte die Wärmeversorgung tatsächlich nicht mehr gewährleistet sein und die Bewohner der über 900.000 Wohnungen in Wien alle losmarschieren, um sich einen Holzofen oder Heizmaterial zu kaufen, so kann das Motto nur lauten: Solange der Vorrat reicht.
Anfang 2014 soll nun endlich durch eine Bauordnungsnovelle Schluss sein mit der Notkaminverordnung. Michael Pech: „Die derzeit in Begutachtung befindliche Bauordnungsnovelle enthält einige Maßnahmen, die aus Sicht der Wohnungswirtschaft sehr positiv bewertet werden. Vor allem der Verzicht auf Notkamine und die Reduzierung der Garagenstellplatz-Verpflichtung sowie die Einführung einer eigenen Widmungskategorie ,Förderbarer Wohnbau’ sind Schritte in die richtige Richtung, um die Kosten für Wohnhausanlagen in Wien zu senken.“
Paradoxon durch Normierung
Die Standards im gemeinnützigen Wohnbau sind mittlerweile durch die Vielzahl an Normierungen so hoch, dass es mittlerweile zu einem Paradoxon kommt: „Wenn gemeinnützige Bauträger frei finanziert bauen, dann können sie zu gleichen Preisen angeboten werden wie geförderte Wohnungen“, so ein Vertreter eines heimischen Bauträgers, der frei finanzierte Wohnungen errichtet: „Man schraubt den Standard herunter.“ Darunter leidet allerdings kaum die Qualität, denn die heimischen Baustandards sind europaweit top. „Das bedeutet eigentlich, dass wir als Steuerzahler einen Standard finanzieren, der den sozial Schwachen nicht hilft. Denn die Förderung dient eher dazu, dass der Standard höher wird, aber die Kosten gleich bleiben“, so der Geschäftsführer des Unternehmens. Und auch eine einheitliche Bauordnung in allen Bundesländern würde dem Preisanstieg letztendlich entgegenwirken.
Überstrapazierte Normen
Neben den Normen, die– höflich gesagt– zu hinterfragen wären, gibt es aber auch diejenigen, die sehr wohl einen Sinn haben, aber dennoch bei Weitem überstrapaziert werden. Dazu zählt unter anderem die Barrierefreiheit. In öffentlichen Gebäuden und in den Gemeinschaftsanlagen eines Wohnbaus sollte sie selbstverständlich umgesetzt sein, ob aber in jeder Wohnung die Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, darüber kann man diskutieren. Der Prozess ist jetzt in Gang gekommen, da man merkt, dass der Wohnbau immer teurer wird. Dazu meint die Architektin Patricia Zacek-Stadler: „Man muss überlegen, ob jede Wohnung all den Anforderungen entsprechen muss, zum Beispiel in Bezug auf Barrierefreiheit. Aber auch hier gilt: Das Lobbying von einigen Firmen ist eben sehr stark.“
ÖSW-Vorstand Pech: „Zum Thema Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit: Allein durch die Mindestbreite von Gängen und die rollstuhlgerechten Anfahrbereiche von Türen ist nach dem Vergleich zweier geförderte, mehrgeschoßiger Wohnbauten in Oberösterreich, einmal mit Einhaltung und einmal ohne Einhaltung der neuen OIB-Richtlinien, ein Flächenmehrbedarf von 13 Prozent erforderlich. Dies schlägt sich massiv auf die Mehrkosten nieder.“
Einkommensgrenzen in Europa
Die Voraussetzungen in anderen Ländern, in den Genuss des sozialen Wohnbaues zu kommen, sind sehr unterschiedlich, und in Europa selbst ist Österreich Spitzenreiter. In Wien etwa gilt für eine Einzelperson eine Netto-Einkommensgrenze von 42.250 Euro pro Jahr (zwei Personen: 62.960 Euro) als Voraussetzung für eine geförderte Miet- und Genossenschaftswohnung. In Holland wurde die Einkommensgrenze von bisher 38.000 Euro auf 33.000 Euro pro Jahr herabgesetzt– unabhängig von der Zahl der Bewohner eines Haushalts. Ganz schlimm ist es in Belgien– hier gilt im sozialen Wohnbau eine Einkommensgrenze von 17.500 Euro brutto für Singles bzw. 24.000 Euro für eine Kleinfamilie. Damit schließt man einen Großteil der Bevölkerung vom sozialen Wohnbau aus und bewirkt eher eine Ghettoisierung. In Österreich hat man ein solides Fundament geschaffen, um für den größten Teil der Bevölkerung das Grundbedürfnis Wohnen zu erfüllen. Leistbarer Wohnraum hat in den vergangenen Jahrzehnten für Sicherheit und Stabilität in Österreich gesorgt und hat damit seine Berechtigung. Vor allem in den kommenden fünf bis zehn Jahren wird er eine große Stütze der Gesellschaft sein.