Das Thema „Wohnen“ gewinnt in der politischen Debatte innerhalb von Europa zunehmend an Bedeutung. Dem „Wohnen“ kommt zwar keine eigenständige EU-Kompetenz zu, dennoch werden die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der einzelnen Mitgliedstaaten durch zahlreiche Rechtsvorschriften der EU bestimmt oder zumindest stark beeinflusst.
Zahlreiche international anerkannte Studien gelangen zu dem Schluss, dass durch Mietenregulierungen nicht mehr Wohnung auf den Markt gelangen und solche Eingriffe in den Markt mittel- bis langfristig mehr Schaden als Nutzen bringen. Welchen Standpunkt vertreten Sie hinsichtlich einer Liberalisierung und Deregulierung?
Othmar Karas: Die Fragen des Wohnbaus und der Mietenregulierung fallen in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, nicht der Europäischen Union. Das ist sinnvoll so und das möchte ich nicht ändern. Gleichzeitig ist unser politisches Ordnungsmodell in Europa die ökosoziale Marktwirtschaft. Diese müssen wir mit Leben erfüllen. Für mich ist der Markt deshalb nicht Selbstzweck. Er ist Mittel zum Zweck. Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria hat ergeben, dass eine Mietpreisregulierung das Problem der Wohnungsknappheit über einen Rückgang an Investitionen sowie ein kleineres Angebot unter Umständen gar verschärfen könnte. Eine stärkere Vereinheitlichung der Regeln – zum Beispiel im Bereich der Wohnbaunormen – könnte laut der Studie wiederum zu kostengünstigeren Bauen führen. Derartige Erkenntnisse müssen von der Politik natürlich berücksichtigt werden.
Die EU-Kommission hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, die Steuerlast vom Faktor Arbeit auf den Konsum, speziell auf das Eigentum zu verlagern, mit dem Bestreben auf diese Weise das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Welchen Standpunkt vertreten Sie zu derartigen Empfehlungen im Allgemeinen und speziell auf Österreich bezogen?
Othmar Karas: Eine wichtige Lehre aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ist, dass wir fiskalpolitische Fehlentwicklungen frühzeitig verhindern müssen. Damit unsere gemeinsame Währung funktionieren kann, brauchen wir gesunde öffentliche Haushalte, Marktdisziplin und klare Vorgaben für die gesamtwirtschaftliche und haushaltspolitische Überwachung. Das Europäische Semester – unser politisches Koordinierungsinstrument für die europäische Wirtschaftspolitik – schafft die Möglichkeit, den Finger in die richtigen Wunden zu legen und die Herausforderungen und den Handlungsbedarf anzusprechen. Faktum ist, dass die Mitgliedstaaten von 2012-2017 im Schnitt nur 53 Prozent der Länderempfehlungen umgesetzt haben. Die Umsetzung der Reformen und mehr Investitionen könnten laut Schätzungen aber mindestens ein Prozent mehr Wachstum in der EU bedeuten. Es gibt also unausgeschöpftes Potenzial, wir haben Luft nach oben. Die länderspezifischen Empfehlungen für die Jahre 2018 und 2019 wurden Anfang Juli 2018 endgültig von allen Mitgliedstaaten im Rat beschlossen. Was die Verlagerung der Steuerlast zu weniger wachstumsschädlichen Einnahmequellen betrifft, so ist die anstehende Steuerreform abzuwarten, die mitunter zu einer Senkung des Einkommensteuertarifs führen soll.
Welche prinzipielle Bedeutung messen Sie dem Privateigentum in der Gesellschaft zu? Wie stehen Sie zu derartigen Enteignungsforderungen wie in der deutschen Bundeshauptstadt? Sollte auf europäischer Ebene etwas für einen verstärkten Schutz des Eigentums unternommen werden und die Europäische Union eine größere Rolle beim Schutz der Grundrechte spielen?
Othmar Karas: Das Recht auf Eigentum ist ein Grundrecht und auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union als solches anerkannt. Daran ist nicht zu rütteln. Einzig aus Gründen des öffentlichen Interesses sowie bei rechtzeitiger und angemessener Entschädigung kann es unter eingegrenzten Umständen Ausnahme von diesem Grundprinzip geben. Ich denke hier vor allem an Infrastrukturprojekte, die dies allfällig rechtfertigen könnten. Der Schutz dieses Grundrechts ist jedenfalls klar auf europäischer Ebene festgeschrieben und muss von den Mitgliedstaaten eingehalten werden.
Welche Aufgaben sollen der öffentlichen Hand im Rahmen der sozialen Wohnpolitik in Österreich zukommen?
Othmar Karas: Die Fragen des Wohnbaus und der Mietenregulierung fallen in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, nicht der Europäischen Union. Das ist sinnvoll so und das möchte ich nicht ändern. Im Sinne der ökosozialen Marktwirtschaft ist es selbstverständlich richtig, dass die öffentliche Hand auch Aufgaben in der sozialen Wohnpolitik wahrnimmt. Dabei sollte jede Maßnahme so treffsicher wie möglich sein.
Erscheinen Ihnen Lenkungsmaßnahmen gerechtfertigt, die einen Wechsel der Objektförderung hin zur Subjektförderung vorsehen?
Othmar Karas: Wie gesagt, die Fragen des Wohnbaus und der Mietenförderung fallen in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, nicht der Europäischen Union. Ich bin Europapolitiker und bin für eine subsidiäre Aufgabenteilung zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union. Die Fördermodelle im Wohnbau sollen nicht von der EU geregelt werden.
Teilen Sie die Ansicht, dass nur jene Personen eine staatliche Unterstützung erhalten sollen, die einen gerechtfertigten Bedarf haben?
Othmar Karas: Im Sinne der ökosozialen Marktwirtschaft und der christlichen Soziallehre sollte man auf Eigenverantwortung setzten und gleichzeitig den Schwächeren helfen. Das ist kein Widerspruch, sondern gehört zusammen. Staatliche Unterstützung in der Wohnraumpolitik muss die Nachfrage nach Wohnraum sowie soziale Bedürfnisse berücksichtigen. Auch die soziale Durchmischung ist wichtig. Eine zielgerichtete Förderung, die Ausgleich schafft ist im Interesse aller.