Das Thema „Wohnen“ gewinnt in der politischen Debatte innerhalb von Europa zunehmend an Bedeutung. Dem „Wohnen“ kommt zwar keine eigenständige EU-Kompetenz zu, dennoch werden die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der einzelnen Mitgliedstaaten durch zahlreiche Rechtsvorschriften der EU bestimmt oder zumindest stark beeinflusst.
Zahlreiche international anerkannte Studien gelangen zu dem Schluss, dass durch Mietenregulierungen nicht mehr Wohnungen auf den Markt gelangen und solche Eingriffe in den Markt mittel- bis langfristig mehr Schaden als Nutzen bringen.Welchen Standpunkt vertreten Sie hinsichtlich einer Liberalisierung und Deregulierung?
Claudia Gamon: Der Wohnungs- und Mietmarkt ist ein Sinnbild für die Fehlentwicklungen des österreichischen Föderalismus. Es gibt 12 Bauordnungen und Bautechnikgesetze für einen Kleinstaat wie Österreich. NEOS orientieren sich am deutschen Vergleichsmietensystem. In bestehende Verträge soll nicht eingegriffen werden, gleichzeitig muss es bei neuen Verträgen möglich sein, eine marktübliche Miete zu verlangen, was im Zusammenspiel mit vielen Neuerungen (Entrümpeln der Bauvorschriften, besserer sozialer Wohnbau, Stärkung der Subjektförderung) zu mehr Angebot am Wohnungsmarkt und damit zu leistbarerem Wohnen für alle führt.
Welche prinzipielle Bedeutung messen Sie dem Privateigentum in der Gesellschaft zu? Wie stehen Sie zu derartigen Enteignungsforderungen wie in der deutschen Bundeshauptstadt? Sollte auf europäischer Ebene etwas für einen verstärkten Schutz des Eigentums unternommen werden und die Europäische Union eine größere Rolle beim Schutz der Grundrechte spielen?
Claudia Gamon: Im wirtschaftlichen Bereich kann sich die Freiheit am besten im Rahmen eines auf Privateigentum, Wettbewerb sowie sozialer und nachhaltiger Marktwirtschaft basierenden Systems entfalten. Leistbares Wohnen soll durch eine Senkung der Steuerbelastung auf Erwerbseinkommen, eine energieeffiziente Baukultur und ein höheres Angebot von Wohnungen auf dem Markt erreicht werden. Der Schutz der Grundrechte ist auf europäischer Ebene durch die EU-Grundrechtecharta und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sehr gut verankert. Aus unserer Sicht sollte allerdings der in Art 6 Abs 2 EUV vorgesehene Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention nun auch tatsächlich so rasch wie möglich erfolgen.
Welche Aufgaben sollen der öffentlichen Hand im Rahmen der sozialen Wohnpolitik in Österreich zukommen?
Claudia Gamon: NEOS bekennen sich zum Prinzip des sozialen Wohnbaus, sehen aber auch Reformbedarf. Zu weit gefasste Eintrittsrechte sollen abgeschafft werden, damit um Gerechtigkeit unter den Mieterinnen und Mietern zu schaffen. Zudem sollen Besserverdiener mehr Miete zahlen als sozial Schwache.
Erscheinen Ihnen Lenkungsmaßnahmen gerechtfertigt, die einen Wechsel der Objektförderung hin zur Subjektförderung vorsehen?
Claudia Gamon: Das ist eine Frage der Treffsicherheit: Die in Österreich dominierende Objektförderung kommt sehr stark Haushalten oberhalb des Medianeinkommens zugute (70 Prozent). 28 Prozent der Fördergelder landen sogar im oberen Einkommensdrittel. Die Subjektförderung ist auf diesen Aspekt bezogen sicherlich treffsicherer. Das Problem einer geringen Angebotselastizität bleibt jedoch. Ein beträchtlicher Teil der Förderung würde so über Umwege in höhere Mieten fließen. Wir glauben daher an einen Mix der Maßnahmen. Viel wichtiger wäre uns eine Zweckwidmung der Wohnbauförderungsbeiträge.
Teilen Sie die Ansicht, dass nur jene Personen eine staatliche Unterstützung erhalten sollen, die einen gerechtfertigten Bedarf haben?
Claudia Gamon: Wer sich mehr leisten kann, soll höhere Miete zahlen. Unser Konzept sieht vor, dass eine jährliche Erhöhung der Mieten im sozialen Wohnbau analog zum durchschnittlichen Anstieg des Lohnniveaus vorgenommen wird. Es obliegt dann den Bewohnern anhand eines Einkommensnachweises diese Erhöhung auszusetzen. Die zu erwartenden Mehreinnahmen würden Investition in neue Wohnbauprojekte ermöglichen (zweckgewidmet).