Die Transformation im Einzelhandel läuft auf Hochtouren. Was bereits vor einigen Jahren begonnen hat, gewann 2020 eine enorme Dynamik, und diese wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. „Corona hat den Markt in einer ohnehin fragilen Situation getroffen und bereits bestehende Trends zur Reduktion der Filialzahl und der Filialgrößen verstärkt“, heißt es im Retailmarkt-Bericht von EHL. Das betrifft von Innenstadt-A-Lagen bis hin zu den Shoppingcentern alle Bereiche, da diese Entwicklung nicht mit den Locations, sondern vielmehr mit den Flächen an sich zu tun hat.
Die Zeit nach dem Einzelhandel
„Im laufenden Jahr wird der stationäre Handel den Bauch weiter einziehen müssen“, erwartet daher Hannes Lindner, Geschäftsführer von Standort + Markt: „Die Verunsicherung liegt wie aufgewirbelter Staub in der Luft, eine Prognose in diesem Segment fällt schwer.“ Die große Unbekannte ist für ihn – neben der zukünftig schwer einschätzbaren Konsumneigung – das Kaufverhalten: Covid-19 war ein perfektes Umschulungsprogramm für die Kundinnen und Kunden. Lindner: „Sollten die 2020 von der breiten Bevölkerung im E-Commerce gewonnenen Erfahrungen überwiegen, kann sich der stationäre Einzelhandel in den kommenden fünf Jahren fest anschnallen.“
Ein typisches Beispiel sind die Kleidungsgeschäfte. „Aus heutiger Sicht sind allein in der Bekleidungsbranche rund 700 Standorte gefährdet. Dies entspricht zehn Prozent der gesamten Verkaufsflächen bei den filialisierten Bekleidungshändlern“, meint Romina Jenei von RegioPlan Consulting. Im schlimmsten Fall könnten in den nächsten Jahren bis zu 25 Prozent der Verkaufsfläche für Bekleidung wegfallen.
Steigende Leerstände
Es ist daher – und nicht nur beim Bekleidungshandel – für einige Zeit mit steigenden Leerständen zu rechnen, die anders als in der Vergangenheit auch sehr gute Standorte betreffen werden. Die Kriterien für einen guten bzw. schlechten Standort werden sich in den kommenden Jahren verändern. Eine Innenstadtlage allein wird nicht mehr reichen, die Nachfrage wird sich auf Flächen konzentrieren, auf denen auch der Mikrostandort perfekt ist. In Summe steigt dann aber der Anteil der Nebenlagen, die für weite Teile des filialisierten Einzelhandels zwar weniger interessant sind, aber aufgrund eines abgesenkten Mietniveaus wieder in den Fokus rücken. Interessant sind diese für Einzelhandelsspezialanbieter, Outlets von Onlinehändlern, die Gastronomie oder Freizeit- und Dienstleistungsanbieter.
„Was der Handel braucht, ist eine Funktionsanreicherung“, sagt Romina Jenei: „Es geht darum, den Kunden, die ja nicht mehr kommen müssen, ausreichend Gründe zu geben, dennoch kommen zu wollen.“ Dazu gehört: Frequenzen schaffen, zum Beispiel mit diversen Dienstleistungen oder Events im Shop, Internet und Social Media mit Click & Collect kombinieren oder Communities schaffen für soziale Interaktion, die Aufenthaltsqualität mit Gastronomie, Kultur und Entertainment integriert. All das eben, was es im Internet nicht gibt.
Gastronomie, Dienstleistung & Co
Derzeit ist die Umstrukturierung in vollem Gange. Lag der Einzelhandelsflächen-Anteil an den gesamten City-Shopflächen 2014 noch bei 73,5 Prozent, so reduzierte sich der Wert zwischenzeitlich auf 70,2 Prozent. „Einzelhandelsflächen wandelten sich in den vergangenen fünf Jahren primär zu Gastronomieflächen, Dienstleistungsflächen und Flächen für Freizeitbetriebe wie Fitnesscenter“, so Hannes Lindner, „allerdings gab es auch mehr Leerstände. In diesem Zusammenhang ist eine Zahl besonders spannend – die Fluktuationsrate.“ Sie gibt an, wie viel Prozent der Shops jährlich den Mieter wechseln. Zuletzt lag sie bei 13,8 Prozent was die Dynamik des Transformationsprozesses zeigt.
Davor verstecken können sich bestenfalls kleine Nahversorgungszentren und nahversorgende Retailparks – diese werden auch stark bleiben. Die kleinen Shoppingcenter, oftmals integraler Bestandteil von Stadtteillagen mit hohem Angebot an Waren des täglichen Bedarfs, haben während des Shutdowns im Frühjahr von ihrem ausgewogenen Angebotsmix profitiert und tun das jetzt wieder. Entsprechend werden auch dort Einzelhandelsflächen nachgefragt. „Shopping-Cities und Malls müssen sich aber noch wärmer anziehen“, so Lindner.