Seit der Jahrtausendwende hat ein enormer Wandel durch die Digitalisierung eingesetzt, und die kommenden Jahre werden weitere massive Änderungen der Immobilie bringen. Bis vor drei Jahren noch zählte die Immobilienbranche nicht zum Tummelfeld von Technologie-Unternehmern, heute schießen diese wie Pilze aus dem Boden. „Proptechs“ – so lautet das aktuelle Schlagwort der Immobilienzeit. Ein neuer Begriff, der die technologische Aufbruchsstimmung in der Immobilienbranche beschreibt. Immer mehr Start-ups kümmern sich um die Vermietung von Wohnungen und den Verkauf von Häusern oder um Prozesse rund um diese Themen. Innovation und Digitalisierung sind der Turbo der Traditionsbranche. Und damit ändert sich alles: die Art und Weise, wie wir Immobilien kaufen, verkaufen, vermieten, nutzen und natürlich auch bewerten.
„Wiederentdeckung“ alter Systeme
Die Geschwindigkeit, mit der sich der Proptech-Markt bewegt, stellt alles Bisherige in den Schatten. Es gibt viele neue Apps, und es werden immer mehr. Viele der Ideen sind letztendlich nur eine „Wiederentdeckung“ bereits bestehender oder alter Systeme. So hat es das schwarze Brett im Haus schon immer gegeben, jetzt ist es eben digital. Es eignet sich zum Austausch und zur Information innerhalb der Hausgemeinschaft und natürlich auch zum „Teilen“. In zahlreichen Wohnprojekten werden Gebrauchsgüter wie Haushaltsgeräte, Werkzeuge, Waschmaschinen oder auch Räumlichkeiten innerhalb der Hausgemeinschaft „geshared“ – wie es auf Neudeutsch so schön heißt. Dies verändert natürlich auch die Grundrisse von Wohnungen, denn es wird weniger Platz benötigt. Die Größe der Wohnung wird nicht mehr der entscheidende Faktor sein, sondern die Nutzbarkeit. Die Wohnungen sollen dazu dienen, sich zurückzuziehen und zu entspannen. Was aber ganz wichtig ist für die Bewohner, ist nicht nur der Rückzugsort, sondern auch der private Freiraum, wie Balkon oder Terrasse.
„Work-Life-Balance“ steht erst am Anfang
„Work-Life-Balance“ führt immer mehr zu einer Vermischung des Arbeitsplatzes mit dem Wohnumfeld. Vor 15 Jahren betrachtete man mit Staunen Wohnprojekte, die eigene Räumlichkeiten für Arbeitsplätze integriert hatten, heute denkt man über diese Kombination gar nicht mehr nach. Herkömmliche Büros werden immer mehr vom Home Office verdrängt. Daher muss das Gebäude – beziehungsweise einzelne Flächen – sowohl als Büro als auch als Wohnung geeignet sein. In diesem Segment wird ohnehin der Wandel besonders prägend sein, und wohin die Entwicklung führt, lässt sich jetzt erst nur erahnen. Wo beginnt Wohnen und Arbeiten und wo hört es auf? Wie und wo wird getrennt? Die „Revolution am Arbeitsplatz“ findet längst in den Wohnräumen statt – ebenso die Revolution im Handel. Wofür werden Einzelhandelsflächen noch gebraucht und wie sollen diese aussehen?
Wo wird der Umsatz gemacht?
Bei den Einkaufsflächen löst die Digitalisierung enorme Veränderungen aus. Das Internet hat die einst monopolistische Stellung des stationären Handels im Bereich der Angebots- und Preisbildung an die Wand gespielt. Es wird immer schwerer zuordenbar, wo der Umsatz gemacht wird – ob online oder offline. Auch die verschiedenen Überlegungen, wie man die Miete anders berechnen oder an andere Parameter knüpfen kann, sind noch nicht befriedigend gelöst. Dazu kommt der Aufstieg der Logistikimmobilien, vor allem innerstädtisch. Ein Thema, das heutzutage heftig diskutiert wird.
Digitalisierung und Bewertung
Für die Bewertung eines Gebäudes stellen diese neuen Nutzungsstrukturen innerhalb der Immobilien eine Herausforderung dar. In den vergangenen Jahren hat man in der Bewertung enorme Fortschritte durch die Digitalisierung erzielt – es stehen verschiedenste Datenquellen und Recherchemöglichkeiten, wie allein schon die Abfragemöglichkeiten im Grundbuch, zur Verfügung. Das hat zu einer enormen Markttransparenz beigetragen. Die Masse an Daten verführt aber dazu, eine Vereinfachung der Bewertung vorzutäuschen, und genau dies ist die Crux bei der Digitalisierung.
Erfassbarkeit und Verständnis
Denn die Immobilie lässt sich vielleicht in ihrer Grundstruktur mit den Daten leichter erfassen. Das Verständnis für die „Immobilie“ in diesem Umfeld, das sich gerade erst strukturiert und zusammenfügt und damit ihre Nutzungsfähigkeit in eine andere Form bringt, ist mit Algorithmen nicht zu lösen. Die Bewertung einer Immobilie an sich ist nämlich mehr denn je von dem Know-how eines erfahrenen Bewerters und dem Gespür für das aktuelle und zukünftige Potenzial einer Immobilie abhängig. In bestimmten Fällen machen automatisierte Bewertungsmodelle Sinn, wenn man zum Beispiel als finanzierende Bank sehr viele einfach strukturierte und homogene Immobilien, wie Einfamilienhäuser oder Eigentumswohnungen, zu bewerten hat. Aber bei komplexen Objekten abseits jeglicher Standardisierung mit dem Blick auf deren zukünftige Marktnutzung greifen diese Systeme zu kurz.