„Was auf den ersten Blick scheinbar harmlos ist, führt auf den zweiten Blick, bei genauerer Betrachtung, zu Veränderungen im Zinshausmarkt“, sagt Thomas Gruber, Teamleiter Zinshäuser bei Otto Immobilien. Mit der OGH-Entscheidung zum Lagezuschlag wurde die bisher gängige Praxis zur Ermittlung der Durchschnittslage, das Abstellen einzig auf den Wert des Grundkostenanteils, als nicht gesetzeskonform angesehen. Die Stadt Wien hat daraufhin die Lagezuschlagskarte angepasst, womit ein Teil von Wien nicht mehr lagezuschlagsfähig ist.
Neues Referenzgebiet für den Lagezuschlag
„Das Referenzgebiet ist jetzt nicht mehr die ganze Stadt, sondern es geht um vergleichbare Gebiete, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und daher ein einigermaßen einheitliches Wohngebot darstellen“, sagt Sandra Bauernfeind, geschäftsführende Gesellschafterin der EHL Wohnen GmbH über die neue Karte. Der Lagezuschlag ergibt sich nicht nur – wie bisher – aus einem höheren Grundkostenanteil, sondern auch aus den Qualitäten der Lage, die gegenüber einer durchschnittlichen Lage besser sein müssen. Dazu zählen unter anderem die Anbindung an den öffentlichen Verkehr, Grünraum oder Infrastruktur wie ärztliche Versorgung oder Einkaufsmöglichkeiten.
Fehlende Definition für die durchschnittliche Lage
Wie die Definition für eine durchschnittliche Lage lautet, bleibt jedoch gänzlich offen. „Der OGH hat mit seiner aktuellen Rechtsprechung zu erheblicher Verunsicherung und zu vielen offenen Fragen auf allen Seiten geführt“, sagt Daniel Jelitzka, Geschäftsführer JP Immobilien. ÖRAG-Vorstand Johannes Endl befürchtet, „dass die angepassten Lagezuschläge zu einer weiteren Verzerrung der ohnehin weitgehend unsachlichen Mietpreisgestaltung im Bereich der Altbau-Mietwohnungen führen“.
Skurrile Situationen
Die OGH-Entscheidung führt zu skurrilen Situationen. So kann ein Mieter anhand der neuen Lagezuschlagskarte einen Teil der Miete zurückfordern, obwohl bei der Vermietung alles korrekt mit entsprechenden Zuschlägen kalkuliert wurde. Fachverbandsobmann Georg Edlauer stellt das fest, was er schon im Vorfeld befürchtet hat: „eine Vielzahl an Verfahren, was wieder zu einer entsprechenden Belastung der Gerichte führt“. Daniel Jelitzka hofft, dass der OGH in der weiteren Rechtsprechung diesbezüglich Klarheit schafft, sodass der Interpretationsspielraum deutlich kleiner wird. Bis es aber so weit ist, empfiehlt er, bei Mietverträgen „alle nur denkbaren Qualitätsmerkmale der Lage im Mietvertrag abzubilden“.
Dem Markt werden Wohnungen entzogen
Auf den ersten Blick könnte man auch glauben, dass mit dem OGH-Urteil eine für potenzielle Mieter vorteilhafte Preissenkung stattfinden wird – speziell in besonders attraktiven innerstädtischen Lagen. Tatsächlich schadet die Entwicklung gerade den potenziellen Mietern, wie Johannes Endl meint: „Die Regelung wird dazu führen, dass dem Mietmarkt noch mehr die dringend benötigten Mietwohnungen entzogen werden.“ Es hat auch bereits ein Erosionsprozess bei den Vermietern eingesetzt, wie Georg Edlauer feststellt: „Die Bereitschaft zur Vermietung in besseren Lagen geht zurück.“ Lieber lässt man die Wohnung leer stehen und wartet auf andere (bessere?) Zeiten oder „auf die Möglichkeit, im eigenen Haus Wohnungen zusammenzulegen“, erklärt Georg Spiegelfeld, Spiegelfeld Immobilien. Ab 130 Quadratmetern Größe kann nämlich wieder der „angemessene Hauptmietzins“ verlangt werden.
Keine Investitionsanreize
„Jeder Angriff auf die Mieten ist auch eine Angriff auf die Substanz“, beschreibt Daniel Jelitzka einen weiteren Nachteil der OGH-Entscheidung. Um in die bestehende Substanz eines Hauses zu investieren, braucht es für die Eigentümer eine gewisse Rechtssicherheit. Durch die erzwungenen marktfremden Mietansätze wird Eigentümern von instandhaltungsintensiven Altbauten jeder Investitionsanreiz genommen. Die Instandhaltung der Gebäude und auch die Sanierung von Altbauwohnungen werden auf das absolut nötigste Ausmaß reduziert werden. Johannes Endl: „Der Wohnstandard für Mieter wird hier also jedenfalls sinken, und der sichtbare Erhaltungsstandard der Bausubstanz wird mit der Zeit ebenfalls schlechter werden.“ Der Vorstand der ÖRAG sieht sogar die Gefahr, dass sich dies auf die Entwicklung von ganzen Stadtvierteln auswirken könnte.
Bärendienst an Mietern und Vermietern
Bei privaten Eigentümern oder auch Investoren „werden schön langsam der ,Betrieb‘ und die Instandhaltung eines alten Hauses zu aufwendig und vor allem nicht mehr planbar“, so Thomas Gruber. Anstatt Wohnungen zu vermieten, werden noch mehr Altbauten parifiziert und anschließend verkauft werden, weil dies oft die einzige wirtschaftlich vertretbare Verwertungsoption darstellt. Die Tragweite der OGH-Entscheidung bringt Fachverbandsobmann Edlauer auf den Punkt, wenn er meint: „Es ist ein Bärendienst, den man den Mietern und den Vermietern damit erwiesen hat.“