Ziemlich spektakulär, was sich da am neuen WU-Campus im wahrsten Sinne des Wortes aufbaut. Man muss kein Hellseher sein, um zu behaupten, dass die Bauwerke von Zaha Hadid, Hitoshi Abe, Carme Pinós, BusArchitektur, Peter Cook und No.mad Landmarks im Wien des 21. Jahrhunderts sein werden. Hier trafen sich Kreativität, Innovationsgeist und der Mut zum großen Wurf eines– allem Anschein nach– geglückten Projekts einer Größenordnung, die in mehrfacher Hinsicht als superlativisch zu bezeichnen ist. Dass es sich um die größte Universitätsbaustelle Europas mit 500 Millionen Euro Bausumme handelt, verweist darauf– und es ist in vielerlei Hinsicht ein Best Practise für Barrierefreiheit. Letzteres klingt in vielen Ohren nicht mehr so spektakulär, ist es aber vielleicht noch viel mehr als die großen Gesten. Denn all die Star-Architekten nach einem gewonnenen Wettbewerb mit ihren kühnen Konstruktionen, schiefen Ebenen, gebauten Skulpturen und schiffsbauchförmigen Innenansichten plötzlich mit der Forderung zu konfrontieren, dass das Ganze bitte schön auch in Bezug auf Barrierefreiheit vorzeigbar umzusetzen ist, war gelinde gesagt kein alltägliches Ansinnen, wenn auch nicht weniger notwendig.
Gleiche Chancen für alle
30.000 Studierenden soll der neue WU-Campus Platz bieten, und wenn es nach dem Rektorat geht, wird der Anteil von Studentinnen und Studenten mit Behinderung in Zukunft um einiges höher sein als bisher. Die alte WU ist alles andere als „behindertenfreundlich“, und das war dem Rektorat schon lange ein Dorn im Auge. Daher kam auch von Nutzerseite die Initiative für den Auftrag an das atempo-Team aus Graz, die Feinplanung und den Neubau der WU mit dem Fokus Barrierefreiheit zu begleiten.
Fragen und Probleme, die in keiner Ö-Norm stehen
Am Anfang steht das Ziel. Im gegenständlichen Fall das Architekten-Handbuch, in dem gemeinsam mit dem Bauherrn für jeden Raumtyp und jede Funktion bis ins Detail festgelegt und erläutert wird, welche Kriterien, Maße oder Materialien anzuwenden sind, damit wirklich alle Studierenden ohne Benachteiligung und Einschränkung am Campus lernen, arbeiten und chillen können. Denn wer ein Bauvorhaben dieser Größenordnung barrierefrei umsetzt, stößt sehr schnell auf Fragen und Probleme, die in keiner Ö-Norm angesprochen werden oder– vielleicht noch schlimmer– in verschiedenen Bauvorschriften widersprüchlich behandelt werden. Hier Lösungen zu finden, die von allen involvierten Parteien akzeptiert werden und praktisch umsetzbar sind, gehört zu den Aufgaben des begleitenden Fachdienstes zur Barrierefreiheit.
Sensibilisierung der Beteiligten
Zunächst ging es aber darum, in eigenen Workshops die beteiligten Planerinnen und Planer für die vielfältigen Belange von Barrierefreiheit zu sensibilisieren. Und auch darum, ihnen anhand der eigenen Pläne zu zeigen, wie dem hartnäckigen Vorurteil von den enormen Mehrkosten hierfür am wirkungsvollsten durch rechtzeitige, fachlich korrekte Planung begegnet werden kann. Während das Verständnis für die Bedürfnisse von Studierenden im Rollstuhl und blinden Menschen sich als relativ gut vermittelbar erwiesen, zeigte sich hinsichtlich der Notwendigkeit von Maßnahmen für Menschen mit Sehbehinderung– etwa ausreichende Farbkontraste speziell bei Treppen, eine Sicherung gegen das Unterlaufen schräger Hindernisse oder der Anlaufschutz bei Glasflächen– noch einiger Nachholbedarf.
Einbindung der Betroffenen
Weil hier vielfach Details in den Normen noch nicht ausreichend geregelt sind, wurde großer Wert auf die Einbindung der Betroffenen, etwa über den Blinden- und Sehbehindertenverband gelegt, um trotz des Zeitdrucks eines derartigen Großbauvorhabens für alle Seiten gut tragbare Lösungen zu entwickeln. Die Vielfalt und Komplexität der hierbei zu lösenden Problemstellungen– man denke bloß an die technisch noch kaum gelöste Frage von „barrierefreiem Brandschutz“– weist klar drauf hin, dass künftig Beratung zur Barrierefreiheit als eigenes „Gewerk“ zur bereits bestehenden Palette an baubegleitenden Diensten hinzutreten wird.
Dialog bringt ästhetisch und funktional ansprechende Lösungen
Auch wenn das Bauvorhaben noch nicht völlig fertiggestellt ist, lassen sich doch bereits erste Erkenntnisse daraus ableiten. Vorrangig dabei: die Berücksichtigung des Kriteriums Barrierefreiheit als eines wesentlichen Nutzungs- und Funktionselements bereits in den allerersten Planungsphasen, idealerweise schon im Architekten-Wettbewerb selbst.
Nicht weniger wichtig ist die kontinuierliche Begleitung der Planungs- und Bauarbeiten durch Experten für Barrierefreiheit; so zeigt sich am Beispiel der WU sehr schön, wie aus anfänglich eher „lästigen“ Normen-Forderungen für den Anlaufschutz bei Glasflächen in fruchtbarem Dialog ästhetisch und funktional ansprechende Lösungen entwickelt werden konnten.
Unschwer lässt sich voraussagen, dass– vermutlich in einigen Jahren– Barrierefreiheit zu einem ‚Alltagsthema’ am Bau geworden sein wird; die Architekten und die ausführende Firmen werden dann ausreichende Sensibilität, fundiertes Wissen und viel Umsetzungserfahrung entwickelt haben. Bis dahin bleibt die Frage nach der Bauqualität im Hinblick auf Barrierefreiheit massiv vom Weitblick und Commitment der Bauherrn und Nutzer abhängig. Glückliche WU Wien, die als eines der ersten Bauvorhaben dieser Größenordnung über beides verfügte.