Als erste Architektin Pakistans entwarf Yasmeen Lari (*1941) ikonische Bauten der Moderne, bevor sie eine Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung für Klimageflüchtete und Landlose begründete.
Die Ausstellung „Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft“ zeigt erstmals Yasmeen Laris außergewöhnliches Werk, von den modernistischen Anfängen der 1960er Jahre über ihre Zeit als Stararchitektin bis zur aktuellen humanitären Architektur, die auf Dekolonialisierung und Dekarbonisierung beruht. Heute praktiziert Lari Architektur als Klimaaktivismus, um die Rechte von Menschen und Natur gleichermaßen zu wahren.
Anhand von bisher unveröffentlichten Fotos, Zeichnungen und Dokumenten vermitteln die drei Kuratorinnen Angelika Fitz, Elke Krasny und Marvi Mazhar den beeindruckenden Werdegang der Architektin von der internationalen Moderne zu einer CO2-armen Architektur. 1941 noch unter britischer Herrschaft im heutigen Pakistan geboren, erhielt Lari ihre Architekturausbildung in England. Sie eröffnete 1964 als erste Frau in Pakistan ein Architekturbüro. Sie entwarf Pakistans ersten sozialen Wohnbau in Lahore und Landmark-Gebäude, wie das Headquarter von Pakistan State Oil in Karatschi. Ihr eigenes Haus, eine Ikone des Brutalismus, machte sie international bekannt. Gleichzeitig begann sie sich intensiv mit lokalen Bautraditionen auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit ihrem Mann Suhail Zaheer Lari gründete sie die Heritage Foundation of Pakistan und erforschte und rettete das bauliche Erbe ihres Landes, die beiden Weltkulturerbestätten in Makli und Lahore ebenso wie Bauten des Alltags.
Seit 2005 hat Lari Architektur als Klimaaktivismus neu definiert und in Pakistan, einem der Länder, das am stärksten von der Klimakatastrophe betroffen ist, die weltweit größte Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung initiiert. Zehntausende flut- und erdbebensichere Häuser, sanitäre Infrastrukturen, rauchfreie Herde und Gemeinschaftseinrichtungen aus klimaneutralen Materialien wie Bambus und Lehm wurden im Selbstbau nach den Plänen von Yasmeen Lari errichtet – von Menschen, die ihr Zuhause verloren hatten, viele von ihnen landlos und von Armut betroffen. Diese Arbeit wurde in den letzten Jahren auch international mit Preisen gewürdigt: 2016 erhielt Lari den Fukuoka Preis für Kunst und Kultur, 2020 den Jane Drew Preis und 2021 das Ehrendoktorat des Politecnico di Milano. Aktuell hat sie eine Gastprofessur an der Universität Cambridge.„Wir müssen alles neu denken, und wir müssen es jetzt tun”, sagt die über achtzigjährige Architektin, die im Sommer 2022, als ein Drittel von Pakistan überflutet war, unermüdlich architektonische Katastrophenhilfe leistete. Für Lari muss Architektur das Überleben und die Würde des Einzelnen mit der Natur und dem Schutz des Planeten in Einklang bringen. In Anbetracht des Ausmaßes des weltweit benötigten Wohnungs- und Infrastrukturbedarfs, setzt Lari auf Vorfertigung und Low-Tech-Serienfertigung aus CO2-armen Materialien. „Es geht darum, welche Methode die kostenschonendste, sicherste und ökologischste ist, und diese dann massenhaft in Umsetzung zu bringen”, so Lari. Für ihr Selbstbauprogramm verwendet sie traditionelle Technologien und lokale Materialien und legt einen besonderen Wert auf die Zusammenarbeit mit Frauen.Die Ausstellung „Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft“ stellt Fragen, die weit über Laris Werk hinausweisen: Wie baut Architektur Zukunft? Wie radikal muss die Bauwende sein, damit wir noch eine Zukunft haben? Wie kann Architektur zugleich an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit arbeiten? Moderne Architektur erhob den Anspruch, eine bessere Zukunft zu bauen – heute leben wir mit den Nachwirkungen dieses Bauens. Der globale Bausektor mit seinen enormen CO2-Emissionen und sogar die globalisierte Hilfsindustrie sind Mitverursacher der Klimakatastrophe. Yasmeen Laris Haltung und ihre systemische Arbeitsweise zeigen, dass Architektur Mitverantwortung übernehmen kann. „Wir müssen sorgsam mit dem Planeten umgehen”, so Yasmeen Lari.Ziel der Ausstellung „Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft“ ist es, einen Beitrag zu einem anderen Architekturverständnis zu leisten: Eine Architekturgeschichte, die nicht westlich und männlich dominiert ist und eine Architekturpraxis, die für Menschen und Natur Sorge trägt. Sie wird in lokalen Kontexten unterschiedliche Antworten finden, von anders Bauen mit CO2-armen Materialien oder Kreislaufwirtschaft bis zu nicht mehr neu Bauen und Bestand weiterbauen. „Mit dieser Ausstellung will das Architekturzentrum Wien aktiv dazu beitragen, dass wir die Möglichkeit von Zukunft nicht aufgeben“, so Az W-Direktorin Angelika Fitz.Kuratorinnen: Angelika Fitz, Elke Krasny, Marvi MazharSzenografie: Alexandra MaringerAusstellungsgrafik: Alexander Ach Schuh
PublikationAnlässlich der Ausstellung erscheint bei MIT Press das Buch „Yasmeen Lari: Architecture for the Future“ herausgegeben von Angelika Fitz, Elke Krasny, Marvi Mazhar und Architekturzentrum Wien. Das Buch gibt einen Überblick über das Lebenswerk von Yasmeen Lari, enthält bis dato unpubliziertes Foto- und Planmaterial aus dem Archiv der Architektin. 11 neue Essays von internationalen Autor*innen aus Südasien, Europa, Brasilien und den USA kontextualisieren das Lebenswerk von Yasmeen Lari hinsichtlich der Fragen von Architektur und Zukunft.ISBN 9780262546096288 SeitenSprache: EnglischPreis: € 38
Eröffnung: Mi 08.03., 19:00
Ausstellung "Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft", 09.03.–16.08.2023, täglich 10:00–19:00, Ausstellungshalle 2