„Mit einem weinenden und einem lachenden Auge“ blickt Andreas Köttl, CEO von value one, auf das Jahr 2022 zurück: „Es war sicher eine Zeit der Trendwende. Man muss sich von einigen Geschäftsmodellen verabschieden, gleichzeitig haben sich aber sehr viele neue Chancen und Produkte ergeben.“ Diese entsprechen dem Trend der Zeit, indem sie die Nachhaltigkeit in den Fokus stellen. „Es ist ein sehr positives Jahr für Nachhaltigkeitsdenken gewesen“, sagt Andreas Köttl, der nicht nur den energetischen, sondern auch den sozialen Bereich mit Fokus auf den Nutzer betroffen sieht. ESG hat seine Wirkung in allen seinen drei Aspekten entfaltet.
Lessons learned
„Lessons learned“, meint Andreas Holler, Geschäftsführer BUWOG Group. Man müsse sich als Wohnbauentwickler „mit drei Themen beschäftigen“: mit allem, was mit Energieeffizienz zu tun hat, den Änderungen durch die Pandemie, die etwa das Homeoffice ganz massiv in den Vordergrund gerückt hat, und den demografischen Veränderungen als „neuer“ wesentlicher Trend. Kurz und gut: „Wie schaffen wir es, diese Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen und zukünftigen Wohnraum zu schaffen, der bezahlbar ist und alle Qualitäten bietet?“
Verunsichernde Rahmenbedingungen
„Wir hatten ein Krisenjahr mit Pandemieauswirkungen, wirtschaftlichen Konsequenzen und einer Energiekrise. Alles, was möglich war, hat es in diesem Jahr gegeben“, resümiert Andreas Holler, allerdings sieht er 2022 auch mit Demut, wie er selbst sagt: „Wenn man den Wohnungsmarkt über das Jahr betrachtet, so ist er grundsätzlich positiv verlaufen, die letzten Monate waren aber schwierig.“ Auch Martina Hirsch, Geschäftsführerin von s REAL, bestätigt: „Die letzten Monate des Jahres waren eher mager, das erste Halbjahr verlief hingegen einfach großartig. Wir haben unsere Vorgaben erreicht, obwohl wir im Herbst spürbar weniger Umsatz hatten.“ Ein wenig sorgenvoll blickt sie wie so viele andere in der Branche auf das erste Quartal 2023: „So viele Rahmenbedingungen sind verunsichernd.“
Verunsicherung war überhaupt einer der wesentlichen Faktoren im abgelaufenen Jahr. Verunsicherung und unerwartete Ereignisse, um genau zu sein. Der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Zinsbewegungen, die gestiegenen Baukosten und die wirtschaftliche Lage im Allgemeinen. Diese betrifft auch stark den Büromarkt, wobei sich die Situation dort etwas anders darstellt, wie Stefan Wernhart, Geschäftsführer EHL Gewerbeimmobilien, meint: „Der Büromarkt wurde schon durch Covid in den Jahren 2020 und 2021 durchgebeutelt. 2022 haben die Unternehmen gelernt, damit umzugehen.“ Direkt mit dem Beginn des Ukrainekriegs kam es wieder zu einer Schockstarre, die sich aber im Laufe des Jahres aufgelöst hat, und neue Flächen werden gesucht. „Wir haben eine bessere aktuelle Lage bei der Vermietungsleistung als im Jahr davor“, so Wernhart.
Refurbishment und Sanierung
Das Jahr 2022 war auf jeden Fall das Jahr von „Refurbishment und Sanierung“. Das hat nicht nur mit dem Mangel an neu errichteten Büroflächen zu tun, sondern auch mit dem Blick auf die Nachhaltigkeit. Das bereits bestehende Gebäude ist nun einmal das nachhaltigste. Noch etwas hat sich am Büromarkt 2022 manifestiert, was sich schon in den zwei Jahren davor abgezeichnet hat. Stefan Wernhart: „Während früher die Preissensibilität im Vordergrund gestanden ist, geht es jetzt vor allem um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Individualität und Qualität des Büros werden immer wichtiger. Der Kampf um die MitarbeiterInnen hat sich verschärft, sagt Andreas Holler: „Es gibt zu wenige gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und das betrifft die gesamte Immobilienwirtschaft.“ Dieses Manko bei den Arbeitskräften wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.
Das Investmentjahr
Im Investmentbereich zeigen die Renditen seit dem zweiten Quartal 2022 eine deutliche Korrektur nach oben. „Die stetig steigenden Kosten für die Finanzierung bzw. Refinanzierungen sowie die im Laufe des Jahres deutlich attraktiver gewordenen Renditen für Staatsanleihen führten zu einem Anstieg der Spitzenrenditen“, sagt Markus Arnold, Alleineigentümer & CEO von Arnold Investments. Interessant ist, dass das Investitionsgeschehen 2022 von den nationalen und internationalen Kapitalgebern zu je rund 50 Prozent geprägt war. „Damit liegt der Anteil der internationalen Investoren deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt“, analysiert Martin Ofner, Head of Market Analysis bei Arnold Immobilien.
Die Handelslandschaft 2022
„Im Handel hat die Kaufkraft-Achterbahn wieder Fahrt aufgenommen“, erläutert Romina Jenei, Geschäftsführerin von RegioPlan. Nachdem sich die österreichische Kaufkraft 2021 erstmals wieder etwas konsolidiert hatte, wurde 2022 ein neues Tief erreicht. Der reale Kaufkraftverlust von vermutlich durchschnittlich 3,9 Prozent „ist ein Spitzenwert, der in Österreich schon viele Jahrzehnte nicht erreicht wurde“, so Jenei. Die Folgen sind ein Verkaufsflächen-Rückgang mit einer weiteren Tendenz zur Marktbereinigung. Was im Büromarkt schon gang und gäbe ist, nämlich „Umnutzen und Optimieren statt Neubau“, hat jetzt auch die Handelsflächen erfasst.