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Infrastruktur im Untergrund

Das Wiener Kanalnetz ist eines der vorbildlichsten und außergewöhnlichsten der Welt und gilt seit jeher als Vorbild für andere Städte – obendrein gelangte es durch einen Film zu Weltruhm.
„Effektiv“ und „unbemerkt“ sind üblicherweise die urbanen Infrastrukturen, die allgemein als die wichtigsten angesehen werden. Beide Merkmale treffen– zumindest in den Industriestaaten– auf die Wasserinfrastruktur einer Stadt zu. Sauberes Trinkwasser und eine funktionierende Kanalisation gelten als selbstverständlich. Wobei die Wasserver- und -entsorgung laut einer Studie des UNDP (United Nations Development Programme) neben dem Verkehrswesen zu den wichtigsten Herausforderungen der Zukunft für die Großstädte zählt. Nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung ist von Wasserversorgung und Kanalisation abhängig– beides ist in weiterer Folge auch für die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend.

Erste Kanalisation 100n.Chr.

Wien war eine der ersten Städte mit Wasser und Kanalisation, wobei der Beginn in das Jahr 100n.Chr. fällt. Damals errichteten die Römer im Militärlager Vindobona ein erstes auch heute noch modern anmutendes Kanalsystem. Danach ist Wien immer wieder Vorreiter bei dieser so wichtigen „unsichtbaren“ Infrastruktur gewesen. Mittlerweile hat die österreichische Bundeshauptstadt eines der modernsten Kanalsysteme der Welt, und das Kanalnetz erreicht insgesamt eine Länge von rund 2.400 Kilometern, wovon 1.700 Kilometer begehbar und rund 700 Kilometer Rohrkanäle sind. Würde man alle Rohre des Kanalnetzes von Wien hintereinanderlegen, so käme man bis in die ägyptische Hauptstadt Kairo. Außerdem gibt es noch rund 6.300 Kilometer Hauskanäle. Sämtliche Abwässer– das sind jährlich rund 220 Millionen Kubikmeter– werden an den tiefstgelegenen Punkt Wiens, nämlich zur Hauptkläranlage der Entsorgungsbetriebe Simmering (einer hundertprozentigen Tochter der Stadt Wien) weitergeleitet.

Epidemien und Seuchen

Die Geschichte der Stadt zeigt, welcher Weg zurückgelegt werden musste, um das heutige Niveau zu erreichen. Im Mittelalter war Wien, was die hygienischen Standards betrifft, eine typisch europäische Stadt: Nicht nur der Hausmüll, auch der Abfall vieler Handwerkszünfte jener Zeit landete entweder auf der Straße oder im nächsten Bach. Erst bei Hochwasser wurden die übel riechenden Restbestände in die nahe gelegene Donau geschwemmt. Die Folgen waren regelmäßige Epidemien und Seuchen. Im 18. Jahrhundert übernahm Wien erstmals eine Vorreiterrolle in ganz Europa. 1739 war Wien die einzige Stadt, die innerhalb der Stadtmauern vollständig kanalisiert war. Trotzdem suchten immer wieder tödliche Seuchen die Stadt heim. Der traurige Höhepunkt wurde im Jahr 1830 erreicht, als eine verheerende Choleraepidemie über 2.000 Tote forderte. Diese Katastrophe war der Auslöser für die sukzessive Einwölbung aller Bäche im Stadtgebiet und die Errichtung der beiden Cholerakanäle, die parallel zum Wienfluss verlaufen.

Einwandfreie Ver- und Entsorgung

Bereits 1850 verfügte Wien über ein gut funktionierendes Kanalsystem und war damit wieder Vorreiter in Europa, denn in anderen großen Städten wie Paris und London wurde erst Mitte der 1850er-Jahre mit dem Bau eines geregelten Kanalnetzes begonnen. In Berlin war das überhaupt erst 1873 ein Thema– zu einer Zeit, als Wien erstmals eine flächendeckende Wasserversorgung durch die I.Wiener Hochquellenwasserleitung bekam. Noch heute versorgt diese die Stadt mit einwandfreiem Wasser, womit Wien eine der ganz wenigen Großstädte ist, deren Leitungswasser man problemlos trinken kann. Dank dieser unglaublichen technischen Meisterleistung war zwar die Trinkwasserversorgung garantiert, doch nahm damit die Abwassermenge mit fortschreitender Anschließung der Wiener Haushalte an das Trinkwasser- und Abwassersystem rasant zu. Da dies neben hygienischen Problemen– vor allem bei Hochwasser– auch eine enorme Geruchsbelästigung bedeutete, wurden rasch weitere Maßnahmen erforderlich.

Vom Ersten Weltkrieg bis heute

Der Ausbau und die ständige Verbesserung der Kanäle waren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wichtige Ziele des städtischen Kommunalwesens. In den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verlangsamte sich der Ausbau des Kanalsystems aufgrund der allgemein schlechten Wirtschaftslage. Der Zweite Weltkrieg hinterließ massive Beschädigungen, und es dauerte bis 1950, ehe die Schäden durch die rund 1.800 Bombentreffer, die das Kanalnetz erhalten hatte, behoben waren. Ab 1950 wuchs das Wiener Kanalnetz wieder und wurde durch den Bau leistungsfähiger Kläranlagen komplettiert. Heute sind 99% der Wiener Haushalte an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen, was einen internationalen Spitzenwert darstellt. Nicht umsonst ist Wien eine der saubersten Städte der Welt und nimmt weiterhin eine Vorreiterrolle ein: Innovative Projekte der Stadt führen Expertinnen und Experten aus aller Welt nach Wien, die sich für das Wiener System der Abwasserentsorgung und des Gewässerschutzes interessieren.

Die Jagd durch die Kanalisation

Zu Weltruhm kam das Kanalnetz im Jahr 1948, als ein britisches Filmteam in Wien den Film „Der Dritte Mann“ drehte. In der Nachkriegszeit wussten zahlreiche Geheimagenten der Alliierten die weit verzweigte Kanalisation der geteilten Stadt für sich zu nutzen. Vor diesem Hintergrund entstand der Film mit Orson Welles in der Hauptrolle und der legendären Verfolgungsjagd durch die Wiener Kanalisation. Mittlerweile gibt es auch viele Menschen, die freiwillig die Kanäle von Wien besuchen– sie sind nämlich ein touristischer Anziehungspunkt. In Anlehnung an den Film „Der Dritte Mann“ kann man auf den Spuren des Protagonisten Harry Lime die weitläufige und beeindruckende Kanalisation erforschen (www.drittemanntour.at).

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  • Erschienen am:
    06.11.2014
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