Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung?
Michael Zöchling: Es findet derzeit eine Veränderung statt, wie ich sie in der österreichischen Immobilienwirtschaft seit meinem Start 1997 noch nicht erlebt habe. Im Moment passieren sehr viele Dinge gleichzeitig.
Die Banken haben ihre Bauträger aufgelöst, wie BAI oder Immorent. Die Immobilien AGs kaufen derzeit keine Immobilien zu, sondern verkaufen aus unterschiedlichen Motiven. Die wirtschaftliche Lage trübt sich ein, wodurch zwar die Zinsen deutlich fallen werden, aber die Gewinne der Privatwirtschaft, die oft in Immobilien investiert werden, werden sich auch reduzieren.
Lässt sich die aktuelle Situation bei den Investments in Zahlen festmachen?
MZ: Ich gehe am Investmentmarkt in Österreich von einem Angebotsüberhang von deutlich über einer Milliarde Euro aus. Es ist interessant zu beobachten, dass in so einer Situation immer alle Beteiligten, auch die, die nicht von ihrer mangelnden Liquidität dazu gezwungen werden (wie etwa Versicherungen) das Gleiche tun, und das ist eben derzeit verkaufen.
Was uns in die aktuelle Misere geführt hat, war die lange Phase der Nullzinspolitik, die Anleihen für institutionelle Investoren sehr unattraktiv gemacht hat. Da haben ebendiese einen sehr großen Teil ihres Geldes in Immobilien investieren müssen und dadurch zu einer Blasenbildung beigetragen. Ab dem Q4 2022 wurden fast nur mehr Anleihen gekauft, was dann ja auch gut für die Wiederherstellung einer ausgeglichenen Asset-Allocation bei den Investoren war und immer noch ist. Für die Immobilienbranche bedeutete es aber ein Ende der Mittelzuflüsse, was zum Platzen der Blase führte.
In dieser Situation sind die Preise eingebrochen, wie es – seit ich die Branche kenne – noch nie dagewesen ist. Und interessanterweise auch sehr stark im Core-Segment.
Aber die Topimmobilien sollten ja eigentlich in ihren Preisen stabil sein.
MZ: Der Wert der Core-Immobilien war immer an die Rendite von Staatsanleihen angelehnt. Wenn man bei einer Anleihe ein Prozent bekommen hat, dann hat es sich gerechnet, eine Immobilie für zwei Prozent zu kaufen. Jetzt stehen die Anleihen wieder bei drei Prozent, da müsste man die Immobilie um vier Prozent kaufen – das heißt, zum halben Preis.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
MZ: Bei einer Renditeerwartung von zwei Prozent bekommt man für eine Immobilie mit einer Million Euro Mieteinnahmen pro Jahr einen Kaufpreis von 50 Millionen. Bei einer Renditeerwartung von vier Prozent bekommt man für dieselbe Immobilie nur mehr 25 Millionen.
Wenn die Institutionellen zuletzt nicht gekauft haben, wer dann?
MZ: Zuletzt haben Privatinvestoren, wie Stiftungen, Industrielle oder Family-Offices, die Situation genutzt und zu günstigen Preisen verstärkt in Immobilien veranlagt. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird und auch weiter einzigartige Opportunitäten genutzt werden. Ab Anfang 2026 rechnen wir wieder verstärkt mit institutionellem Geld.
Weshalb gehen Sie von diesem Zeitpunkt aus?
MZ: Der EURIBOR Future zeigt, dass im Jänner 2026 mit knapp unter zwei Prozent der Tiefpunkt der Zinskurve erreicht ist – damit wird die Finanzierung deutlich billiger.
Ab diesem Zeitpunkt sind die Anleihen als Investmentoption weniger spannend, und es wird wieder wesentlich mehr in Immobilien investiert werden. 2026 könnten die Immobilien wieder sehr teuer werden.
Grundsätzlich haben institutionelle Investoren gewisse Vorgaben. Viele von ihnen müssen in ihrem Portfolio einen gewissen Prozentsatz an Immobilien und einen gewissen Anteil an Anleihen halten. Wenn sie, wie zuletzt, nur Anleihen kaufen, dann müssen sie über kurz oder lang wieder Immobilien kaufen. Es wird aber wenig Angebot an attraktiven Immobilien geben, weil derzeit sehr wenig gebaut wird, und daher wird es zu einem spürbaren Preisanstieg kommen.
Erwarten Sie Preise, wie wir sie zuletzt hatten?
MZ: Sofern die Zinsen nicht unter ein Prozent gehen, werden wir das Niveau von 2021 in absehbarer Zeit nicht mehr erreichen. Die Renditen, um die Gebäude vor der Nullzinsphase gekauft wurden, waren über viele Jahre 3,5 bis vier Prozent bei Wohnen, vier bis fünf Prozent bei Büros und ab fünf Prozent bei Hotels. Durch die Nullzinspolitik haben sich die Renditen immer weiter nach unten bewegt, und jetzt kommen wir zu dem Renditeniveau zurück, das wir auch früher hatten, ehe die Zinsen unter null gegangen sind.
Zahlreiche Unternehmen, vor allem Projektentwickler, haben derzeit massive Probleme. Sitzen die Banken die Kredite aus?
MZ: Würden die Banken derzeit nicht sehr viel stunden, hätten wir eine Pleitewelle, wie wir sie in der Immobilienbranche noch nie erlebt haben. Die Banken agieren sehr klug und stunden bei den Projektentwicklern sehr viele Kredite – in der Hoffnung, dass es 2026 wieder besser wird. Wir werden aber, wie gesagt, nicht mehr auf das Niveau von 2022 kommen. Die Banken, die jetzt stillhalten, müssten jetzt teilweise um 60 Prozent des Kredits verkaufen, und 2026 werden es voraussichtlich rund 80 Prozent sein.
Tragen die Banken eine Mitschuld an der Misere?
MZ: Als wir Zinsen von minus 0,5 Prozent hatten, meinten viele Banker, sie rechnen in weiterer Folge mit einem starken Anstieg auf plus ein Prozent – maximal. Als Immobilienprofi verlässt du dich auf den Bankenprofi. Man muss aber sagen, auch ein vorsichtiger Kaufmann hätte Corona und den Ukraine-Krieg nicht vorhersehen müssen.
Welche Assetklassen sind von der aktuellen Situation am meisten betroffen?
MZ: Am stärksten betrifft es die Grundstückspreise. Diese sind bei einer Projektentwicklung der einzige variable Faktor. Bei den Baukosten kann man nicht viel machen. Den Exit-Preis gibt der Markt vor. Der Mietanstieg findet aktuell zwar statt, ist aber auch nicht unendlich. Das Einzige, woran man bei einer Bauträgerrechnung drehen kann, ist das Grundstück. Ich gehe davon aus, dass die Grundstücke, die am Höhepunkt teilweise um bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche gekauft wurden, sich bei 1.000 Euro einfinden werden. Erst wenn die Grundstücke abgewertet sind, rechnet es sich für Bauträger, wieder zu bauen.
Und Büroimmobilien?
MZ: Bei den Büroimmobilien als Investmentprodukt gibt es große Veränderungen. Bis vor Corona waren die wesentlichen Kriterien die ESG-Tauglichkeit und die Qualität der Mieter des Gebäudes. Durch Corona verstärkte sich der Homeoffice-Trend. Der hat sich zwar etwas reduziert, aber die Freigabe für einen Tag Homeoffice pro Woche reicht aus, dass es für Unternehmen sinnvoll ist, Desksharing einzuführen, wodurch rund 20 bis 30 Prozent der Bürofläche weniger benötigt werden.
Investoren beschäftigen sich sehr stark mit den Bedürfnissen ihrer potenziellen Mieter.
MZ: Sie kaufen nur Häuser, die den Wünschen der Mieter entsprechen. Die Unternehmen beziehungsweise deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bevorzugen belebte Standorte. Dazu zählen in Wien unter anderem die Innenstadt, das Band von Wien-Mitte bis zum IBM-Gebäude, das Viertel Zwei, das durch die WU sehr belebt ist, oder der Hauptbahnhof. Die Leute wollen ins Leben eintauchen, wenn sie aus dem Homeoffice kommen! Sie wollen belebte Cluster. Andere Standorte werden für internationale Investoren immer uninteressanter.
Dadurch könnten sich aber die Standorte verschieben.
MZ: Ja, das ist richtig. Durch die Reduktion der benötigten Bürofläche werden die schlechten Standorte verschwinden, und die Häuser werden in andere Assetklassen transformiert. Auf der anderen Seite werden neue Bürolagen auftauchen. Daher wäre auch zum Beispiel das „Lamarr“ in der Mariahilfer Straße ein hervorragender Bürostandort.
Und wie geht es der ZOECHLING RE in der aktuellen Situation?
MZ: Wir konnten 2023 deutlich über 100 Millionen Euro Transaktionsvolumen abwickeln und hoffen, heuer die 200-Millionen-Marke zu knacken. Der turbulente Markt kommt uns also sehr zugute, da es derzeit nicht erfolgversprechend ist, ein Objekt quer über den Markt zu schleifen. Somit können wir unser über Jahrzehnte aufgebautes Netzwerk nutzen und sehr diskret Transaktionen abwickeln.